4.4.1 Schulung und Pretest

4.4.1 Schulung und Pretest

Die Durchführung eines Pretests ist Bestandteil jeder wissenschaftlichen Erhebung zur Überprüfung der Praktikabilität, Vollständigkeit und Konsistenz eines Fragebogens. Üblicherweise wird der Fragebogen einer Auswahl von Testpersonen zur Beantwortung ohne weitere – oder allenfalls technische – Erläuterungen vorgelegt. Damit wäre jedoch eine realitätsnahe Abbildung nicht möglich gewesen, da tatsächliche Gründer in der Regel zumindest ein Basiswissen über die rechtlichen Anforderungen besitzen, bevor sie zur Unternehmensgründung schreiten. Daher wurden die Probanden im Rahmen eines sechsstündigen Workshops ausführlich zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der Gründung jeweils einer Tischlerei, eines Immobilienmaklerbüros und einer Apotheke geschult mit dem Ziel, den Probanden eine Beratung zukommen zu lassen, wie sie ein gut informierter Gründer z.B. durch die Gründungsberater der Kammern oder der Wirtschaftsförderungen erhält. Dazu wurde den Mystery Shoppern zusätzlich zu der mündlichen Beratung im Rahmen des Workshops für jede der drei Gründungen eine ausführliche Erläuterung über die rechtlichen Grundlagen, die grundsätzlich erforderlichen Verfahrensschritte und üblichen Zuständigkeiten anhand der Ergebnisse aus einer Beratung mittels der startothek zur Verfügung gestellt. Dieses Beratungsinstrument wird von einer Vielzahl der Gründungsberater genutzt, um den Gründern Informationen zu den rechtlichen Anforderungen ihres jeweiligen Unternehmens zur Verfügung zu stellen. Weitere Informationen zur startothek finden sich unter startothek.de14. Auf diese Weise wurden Verzerrungen durch unterschiedliche Wissensstände der Mystery Shopper vermieden.

14 Der die startothek betreuende Verlag Wolters Kluwer stellte für das Projekt dem Projektteam dazu einen kostenlosen Account zur Verfügung. 

Des Weiteren wurde zur Vermeidung von Verzerrungen im Vorfeld des eigentlichen Pretests allen Probanden die Möglichkeit gegeben, sich mit der Erhebungsmaske anhand der Stadt Siegburg als Dummy über die im Workshop vermittelten Kenntnisse hinaus vertraut zu machen.

Im Anschluss erhielten die Mystery Shopper die Aufgabe in einer Gemeinde jeweils eine Tischlerei, ein Immobilienmaklerbüro und eine Apotheke zu gründen. Dazu wurden sechs Städte respektive Gemeinden ausgewählt, die ein breites Spektrum der zuvor beobachteten Konstellationen abbilden:

  • Düsseldorf als kreisfreie Stadt mit prominentem Hinweis auf die Gewerbeanmeldung über das Landesportal
  • Hamburg als Stadtstaat mit hohem Integrationspotential verschiedener Verfahren mit unterschiedlichen Zuständigkeiten
  • Gartow als kleine Samtgemeinde mit Integration des Landesportals auch für die Maklererlaubnis mit Zuständigkeit bei der IHK
  • Neu-Isenburg als kleinere Mittelstadt mit Integration des Portals des Einheitlichen Ansprechpartners in Hessen
  • Gauting als Mittelstadt an der Grenze zur Kleinstadt mit Integration des Landesportals, aber Gewerbeanmeldung per E-Mail
  • Neckartenzlingen als Kleinstadt mit eigenem Portal zur Gewerbeanmeldung, aber auch einem durch das Land vorgegebenen Standardtext ohne weiteren Bezug

Die Auswahl der Probanden erfolgte durch die Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg und bestand ausschließlich aus Studenten in fortgeschrittenen Semestern mit den für diese Peergroup üblichen Kenntnissen in der Webrecherche und im Umgang mit IT.

Im Ergebnis lieferte bereits der Pretest – neben den Hinweisen auf notwendige Anpassungen in den Fragen – wichtige Erkenntnisse über mögliche Schwachstellen im digitalen Unternehmensgründungsprozess:

  • Probanden waren unsicher, wenn eine Gemeinde ohne weitere Erläuterung auf das Portal des Landes weiterleitete oder wenn Unterlagen zwar verlangt wurden, aber weder Hinweise noch Verknüpfungen zur Besorgung derselben vorhanden waren.
  • Die Weiterleitung auf Portalseiten der Kammern oder des Landes sind nicht immer mit der Möglichkeit einer elektronischen Anmeldung oder Beantragung verbunden. Oftmals handelt es sich um reine Informationsseiten, die lediglich den Eindruck einer elektronischen Übermittlung erwecken.
  • Gemeinden bieten oftmals unterschiedliche Wege zur Gewerbeanmeldung im Hinblick auf die Übermittlungsform an (Papier, E-Mail, Portal). Die Anweisung für die Probanden war, immer die „digitalere“ zu wählen, also ein Portal der Übermittlung mittels Papier oder E-Mail vorzuziehen. Allerdings kam es vor, dass eine Gemeinde sogar zwei verschiedene Portale – ein eigenes kommunales und das Portal des Landes – auf ihren Seiten anbot. In diesen Fällen wurde es dem Mystery Shopper bei der darauffolgenden Erfassung dann freigestellt, welches der beiden Portale er/sie für das weitere Verfahren geeigneter hielt.
  • Das Angebot von Gemeinden, die Seite in mehreren Sprachen zu nutzen, beschränkt sich oftmals nur auf wenige Informationen. Daher wurde die Frage in der Erfassung nach der Mehrsprachigkeit deutlicher auf die betreffenden Seiten zur Anzeige respektive Beantragung bezogen.
  • In einigen Fällen kam es zur Verwirrung über die beizulegenden Unterlagen, da selbst Behörden manche Dokumente uneinheitlich benennen, z.B. Handwerkskarte und Meisterbrief, Personalausweis und Meldebescheinigung oder Auskunft in Steuersachen und Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamts.
  • Entgegen den Erwartungen waren manche Informationen in manchen Gemeinden – auch mit erheblichem Suchaufwand – überhaupt nicht vorhanden, weshalb die entsprechende Antwort zu ergänzen war.