4.1.2 Kriterien zur Voreinschätzung des digitalen Reifegrads der Verwaltung

4.1.2 Kriterien zur Voreinschätzung des digitalen Reifegrads der Verwaltung

Die Untersuchung soll zeigen, inwieweit es für Kommunen bereits möglich ist, Verwaltungsleistungen für Unternehmensgründer zu digitalisieren. Die Auswahl der Kommunen kann sich deshalb nicht allein an der Gründungsquote orientieren. Vielmehr sollten Kommunen ausgewählt werden, die bereits einen gewissen digitalen Reifegrad erreicht haben. Im Zuge der Auswahl der Kommunen konnten dazu zunächst nur einige wenige Kriterien erhoben werden. Zu diesem Zweck wurde, wie auch in den jüngsten Studien zum kommunalen eGovernment von Fietkiewicz et al. (2017, S. 77), Distel und Becker (2018, S. 623) sowie von Jeong (2018) ein Ansatz gewählt, der auf den Arbeiten von Hiller und Bélanger (2001), Moon (2002, S. 426) sowie von Layne und Lee (2001, S. 124) aufbaut. Dieser Ansatz besteht aus den folgenden fünf Säulen:

InformationDie Kommune informiert die Gründer unter anderem über die zur Gründung erforderlichen Verwaltungsleistungen, gibt Auskunft über die zuständigen Behörden und stellt wichtige Unterlagen und Formulare zum Herunterladen zur Verfügung.
KommunikationDie Kommune offeriert den Gründern Kanäle zur interaktiven digitalen Kommunikation, sei es per E-Mail, Chat, Kontaktformular oder über soziale Netzwerke
TransaktionDie Kommune ermöglicht den Gründern die Inanspruchnahme digitaler Verwaltungsleistungen, wozu sowohl die Bearbeitung von Formularen als auch die Übermittlung von Anträgen und Meldungen sowie die Zahlung von Gebühren und anderen Abgaben gehören. Zwar tauschen Behörden und Gründer im Rahmen einer Kommunikation auch Informationen aus, was jedoch im Gegensatz zu einer Transaktion keine rechtlichen oder finanziellen Folgen hat.
IntegrationDie Kommune stellt auf einem Portal, einer Einstiegsseite oder auf einzelnen Seiten nicht nur Informationen zu weiteren Verwaltungsleistungen und Zuständigkeiten zur Verfügung, sondern vernetzt die Leistungen anderer Behörden mit dem eigenen Angebot. Hierbei lässt sich unterscheiden, ob es sich um eine vertikale Integration – kommunale Behörden bzw. Leistungen sind mit denen anderer Ebenen verknüpft – oder eine horizontale Integration – kommunale Behörden bzw. Leistungen sind mit denen auf der gleichen Ebene verknüpft – handelt (Distel und Becker 2018, S. 624).
PartizipationDie Kommune eröffnet den Bürgern die Möglichkeit kommunalpolitische Belange online zu diskutieren und gegebenenfalls darüber online abzustimmen. Diese Dimension bezieht sich jedoch nicht auf Verwaltungsleistungen, sondern auf den politischen Meinungsbildungsprozess, weshalb sie im Folgenden nicht weiter betrachtet wird.

 

Obwohl dieses Modell aus den „Kindertagen des eGovernments“ (Layne und Lee 2001, S. 123) stammt, so hat doch in den folgenden zwei Jahrzehnten eine Vielzahl von Autoren zur Erfassung des digitalen Reifegrads auf diesen Ansatz zurückgegriffen. Die Metastudien von Fath-Allah et al. (2014, S. 81), Chaushi et al. (2015, S. 62) sowie Almuftah et al. (2016, S. 76) zeigen anhand der Auswertung von insgesamt 30 Studien, dass mit wenigen Ausnahmen die Autoren entweder explizit den erläuterten Ansatz wählen oder sich zumindest doch die verwendeten Indikatoren den fünf Dimensionen zuordnen lassen. Dies trifft neben den oben schon erwähnten Arbeiten zur digitalen Reife von Kommunen (Moon 2002, S. 426; Fietkiewicz et al. 2017, S. 77; Distel und Becker 2018, S. 623; Jeong 2018) auch für weitere Studien mit explizit kommunalem Bezug zu (Hogrebe et al. 2009, S. 608; Chatzopoulos und Economides 2009; Hogrebe 2010; Holzer et al. 2014; Fromm et al. 2015, S. 46). Die wenigen verbleibenden Studien behandeln spezielle Aspekte des eGovernments, wie zum Beispiel die behördliche Interoperabilität (Gottschalk 2009, S. 78) oder die Technologien und Prozesse einer Verwaltung (Andersen und Henriksen 2006) oder versuchen beide Perspektiven in einem Modell zu vereinen (Lee 2010, S. 229).

Etwas schwieriger einzuordnen ist der Digital Economy and Society Index (DESI) der Europäischen Kommission, der neben anderen Variablen (z.B. Infrastruktur) auch Indikatoren zum eGovernment heranzieht. Dazu gehören die Anzahl bzw. der Anteil der Nutzer, der vorausgefüllten Formulare, der online zu erledigenden Verfahren, der für einen Unternehmensstart grenzüberschreitend online verfügbaren Verfahren und die Verfügbarkeit offener Daten (European Commission 2018). Mit Ausnahme des ersten und des letzten Indikators wird zur Ermittlung der Indexwerte auf die Ergebnisse des eGovernment Benchmark Reports (Tinholt et al. 2017) zurückgegriffen. Der Studie liegt allerdings kein theoretisch abgeleitetes Reifegradmodell zugrunde, was bei Benchmarking-Studien nicht unüblich ist (Berntzen und Olsen 2009, S. 77). Ein Blick in die Rohdaten6 zeigt dann aber, dass sich die einzelnen Merkmale wie auch schon bei den anderen Studien den oben beschriebenen Dimensionen zuordnen lassen7.

Zusammenfassend stellen Chaushi et al. (2015, S. 64) fest, dass die meisten Modelle zur Beurteilung des Reifegrads das eGovernment aus der Perspektive eines Bürgers betrachten, der Verwaltungsleistungen in Anspruch nehmen will. Insofern sind die Dimensionen Information, Kommunikation, Transaktion und Integration nicht nur in der Literatur umfassend behandelt worden, sondern eignen sich vor allem aufgrund der eingenommenen Perspektive des Bürgers und damit auch der Gruppe der Unternehmensgründer in besonderer Weise für diese Untersuchung. Gleichwohl bleibt an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass diese Dimensionen entgegengesetzt der ursprünglichen Annahme nicht konsekutiv sind, wie die empirische Überprüfung durch Coursey und Norris (2008, S. 532) nahelegt. Dementsprechend sehen auch Fietkiewicz et al. (2017, S. 77) in den Dimensionen keine zwangsläufig aufeinander aufbauenden Stufen, sondern vielmehr Säulen des eGovernments. Der Reifegrad einer Kommune kann also steigen, wenn eine Behörde eine Verwaltungsleistung online anbietet, ohne unbedingt zuvor umfassende Informationen online zur Verfügung zu stellen. Ebenso kann die Kommune das digitale Angebot einer anderen Gebietskörperschaft integrieren (vertikale Integration), ohne zuvor selbst eine Kommunikation online zu offerieren.

Um anhand der vier identifizierten Säulen die Kriterien zur Voreinschätzung des Reifegrads zu entwickeln, kommen insbesondere die oben genannten Studien mit explizit kommunalem Bezug in Betrachtung. Der Vergleich dieser Studien zeigt, dass die Kriterien identisch oder zumindest sehr ähnlich sind. Zur Auswahl der zu untersuchenden Kommunen lassen sich so folgende Kriterien zu den Säulen des digitalen Reifegrads formulieren:

InformationExistiert eine Einstiegsseite für unternehmensbezogene Verwaltungsleistungen? Ist ein Verzeichnis der Verwaltungsleistungen oder zumindest eine Suchfunktion zum Auffinden dieser Leistungen verfügbar?
KommunikationIst ein konkreter Ansprechpartner zur Verwaltungsleistung online erreichbar?
TransaktionBesteht die Möglichkeit, die Gewerbeanmeldung über die Seite der Gemeinde elektronisch vorzunehmen?
IntegrationExistiert eine Einstiegsseite für unternehmensbezogene Verwaltungsleistungen? Ist ein Link zur elektronischen Gewerbeanmeldung über ein Portal des Landes vorhanden?

6 Die Rohdaten für den Bericht 2017 sind mit Stand 30.10.2018 unter ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/newstudy-egovernment-services-europe-improving-cross-border-availability-services verfügbar.

7 Zwar kann an dieser Stelle keine umfassende Würdigung des Ansatzes der Europäischen Kommission erfolgen, jedoch wirft der Blick in die Rohdaten Fragen zur Validität der Methode auf, da auch die Verfahren, die in der Zuständigkeit der Kommunen liegen, immer nur auf Basis weniger Großstädte stellvertretend für alle Gebietskörperschaften geprüft werden.

Auf den ersten Blick dürfte auffallen, dass das Kriterium der Einstiegsseite sowohl zur Beurteilung der Information als auch der Integration Verwendung findet. Tatsächlich nutzen die untersuchten Studien eine solche Einstiegsseite sowohl zur Einschätzung der Qualität der Suche und der Übersichtlichkeit der Informationen (Hogrebe 2010) als auch als Merkmal eines integrierten Angebots (Fietkiewicz et al. 2017, S. 82), womit diesem Merkmal eine hervorgehobene Bedeutung zukommt, was sich auch in der höheren Gewichtung mit dem Faktor zwei niederschlägt.

An die Suchfunktion wird in diesem Arbeitsschritt noch keine hohe Anforderung gestellt. Zwar weisen Suchmaschinen mit Autovervollständigung auf einen höheren Reifegrad hin, hier genügte jedoch, dass das Ergebnis zu den Suchbegriffen Gewerbe, Gewerbeanzeige oder Gewerbeanmeldung einen unmittelbaren Treffer liefert. Lediglich Seiten, die nur Google-Ergebnisse (einschließlich Werbung) bieten, bekamen keinen Punkt.

Die Erreichbarkeit eines Ansprechpartners spielt in allen Studien eine Rolle, wobei mitunter zwischen verschiedenen Formen der Erreichbarkeit (E-Mail, Chat etc.) unterschieden wird. Sofern es sich um einen Online-Kanal handelt, spielt die Form allerdings eine untergeordnete Rolle. Vielmehr verlangt eine echte Interaktion die Verfügbarkeit eines konkreten Ansprechpartners. Daher genügte es nicht, auf die allgemeine E-Mail-Adresse der Behörde hinzuweisen, ohne dabei zumindest eine zuständige Person zu nennen.

Ein wesentliches Kriterium, gerade vor dem Hintergrund der Untersuchung einer medienbruchfreien Kommunikation, ist die Möglichkeit, die Gewerbeanmeldung elektronisch vorzunehmen. Dabei wird abgestuft danach unterschieden, ob die Anmeldung durchgehend ohne Medienbruch oder doch nur das Ausfüllen eines Formulars, aber nicht die Übermittlung digital möglich ist. Die hervorgehobene Bedeutung, die der Gewerbeanmeldung hier beigemessen wird, resultiert daraus, dass diese Meldung die zentrale Verwaltungsleistung im Gründungsprozess darstellt, die wiederum weitere Verwaltungsleistungen initiiert und zusammenführt. Ist dieses Verfahren bereits nur analog möglich, lässt sich ein gehobener Reifegrad kaum noch erreichen, weshalb dieses Kriterium mit dem Gewichtungsfaktor drei in den Index des digitalen Reifegrads einging.

Die Bedeutung der Integration im Zusammenhang mit der Unternehmensgründung zeigt sich schon allein bei der Gewerbeanmeldung. Infolge des Aufbaus von Landesportalen ermöglicht oftmals die Integration erst die Transaktion, wenn die Gemeinden die elektronische Anmeldung nicht selbst anbieten, sondern auf ihren Seiten das Portal des Landes verlinken. Dieser Befund korrespondiert mit den Erkenntnissen von Coursey und Norris (2008, S. 523), wonach – wie oben erläutert – die Dimensionen der digitalen Reife in Bezug auf das eGovernment nicht konsekutiv sind.