Der deutsche Mittelstand ist innovativ. Doch radikale Innovationen oder neue Geschäftsideen, die ganze Branchen komplett verändern, kommen seltener aus kleinen oder mittleren Unternehmen (KMU). In der Coronakrise waren innovative Ideen, schnelle Digitalisierung und pragmatische Veränderungsprozesse jedoch oft entscheidend für das Überleben von Unternehmen. Was können wir daraus für künftige Umbruchsphasen und Krisen lernen? Wie können sie auch kleinere Unternehmen (mit)gestalten und handlungsfähig bleiben?
Innovation und Digitalisierung in KMU vor Corona
Bis Februar 2020 waren viele KMU in relativ ruhigen Gewässern unterwegs. Die Wirtschaft wuchs. Märkte und Lieferketten funktionierten wie gewohnt. Digitalisierung und Innovation konnten mit ruhiger Hand vorangetrieben werden. Das Innovationsgeschehen orientierte sich ein Stück weit an Megatrends, vor allem aber an veränderten Kundenbedürfnissen und fokussierte meist auf das bestehende Geschäftsmodell. Radikale Innovationen waren seltener und vor allem bei Startups zu verorten.
Innovation und Digitalisierung in KMU in der Krise
Mit Corona lernte nahezu jeder, der kleine und mittlere Unternehmen führen und entwickeln will, was disruptive Veränderungen und VUCA-Welt[1] tatsächlich bedeuten. Absatzmärkte und Lieferketten wurden massiv gestört. Die Rahmenbedingungen änderten sich rasch. Pläne und Prognosen waren nach wenigen Wochen, Tagen oder sogar Stunden meist schon überholt.
Viele Unternehmen reagierten mit kreativen Maßnahmen, um Umsätze und Liquidität zu sichern. Schnell wurden Prozesse, Produkte und Vertriebskanäle digitalisiert. Geschäftsmodelle wurden angepasst, völlig erneuert oder über Bord geworfen. Eine neue, agilere Art des Strategierens wurde zur täglichen Praxis. Gleichzeitig wurden Investitionen, vor allem in langfristig eingesteuerte Innovations- oder Digitalisierungsprojekte, gestoppt.
KMU nach fast einem Jahr Krise
Durch eine solide Basis (zum Beispiel Kundenorientierung, Eigenkapital oder Prozessqualität) und ihre große Anpassungsfähigkeit stehen viele KMU auch jetzt noch besser da, als zu befürchten war. Eine Umfrage des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft zum Jahreswechsel 2020/2021 ergab, dass Ende 2020 über 70 Prozent der 2.300 befragten Unternehmen die eigene Geschäftslage als befriedigend, gut oder sogar sehr gut einschätzten und knapp 70 Prozent erwarteten eine gleichbleibende oder sogar günstigere Entwicklung der Geschäftslage in den kommenden 12 Monaten. Allerdings erwarteten für 2021 über 60 Prozent eine Rezession in Deutschland und reagieren darauf mit zurückhaltenden Investitionsplänen.[2] Ähnlich sehen die Ergebnisse des KfW-ifo-Mittelstandsbarometers vom Dezember 2020 aus. Vor allem das verarbeitende Gewerbe hatte sich bereits vor dem Winter-Lockdown gut erholt und blickt relativ optimistisch in die Zukunft.[3]
Die Wirtschaft nach der Krise
Allerdings, auch wenn wir die Ausbreitung des Virus hoffentlich in 2021 aufhalten können, die Wirtschaft wird nach der Krise möglicherweise nicht mehr sein wie vorher. Kurzfristig prognostizieren etliche Ökonomen eine schnelle Erholung für viele Branchen, denn die Konsumenten werden vermutlich den im Lockdown eingeschränkten Konsum schnell nachholen. Sollte der Lockdown bald enden, machen sich bestimmt viele Branchen auf den Weg, die Verluste von 2020 aufzuholen. Ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von knapp 4 Prozent ist möglich.
Doch auch bei Insolvenzen besteht ein „Nachholbedarf“. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht hat etliche Insolvenzen nur verzögert aber nicht verhindert. Überbrückungskredite und andere Coronahilfen sichern nur dann das Überleben, wenn Verbindlichkeiten auch wieder beglichen werden können. Dafür müssen die Unternehmen nicht nur ein gutes akutes Krisenmanagement an den Tag gelegt haben, sondern auch über ein hinreichend zukunftsfähiges Geschäftsmodell verfügen. Die Coronakrise wird den Strukturwandel, der in einigen Branchen schon lange ansteht, definitiv beschleunigen.[4] Schließlich sind Megatrends wie Digitalisierung, Klimawandel oder der demografische Wandel in der Krise nicht verschwunden. Und deshalb lohnt es sich, das in der Krise Gelernte nicht zu vergessen sondern zu kultivieren um für künftige Veränderungen gewappnet zu sein.
Gutes Krisenmanagement
Gutes Krisenmanagement ist kein Hexenwerk. Im Managementletter 4/2020 haben wir einige wunderbare Tools gesammelt, die Unternehmerinnen und Unternehmer dabei unterstützen können, in Krisen ihr KMU gut führen und sich für die Zukunft neu auszurichten. Diese Krisen- und Strategietools werden im soeben gestarteten Projekt „Krisen als Innovations- und Digitalisierungstreiber nutzen“ durch eine Toolbox zur Krisenbewältigung und gute Beispiele aus der Praxis ergänzt.
Phasen großer Umbrüche waren immer auch gute Zeiten für Pioniere, Experimente und neue Möglichkeiten. Neues Land lässt sich allerdings nicht mit alten Karten bereisen. Unsere neue Toolbox zur Krisenbewältigung verspricht daher auch nicht, zu wissen, was niemand weiß. Mit Gedankenanstößen und einfach handhabbaren Tools möchten wir vielmehr Impulse für diejenigen liefern, die sich aufgemacht haben, Neuland zu kartieren und zu gestalten. Das Kartenset erscheint im ersten Quartal und kann bereits unter chefsachen(at)rkw.de vorbestellt werden.
Neues Strategieren
Hierzu gehört einerseits das agile Bewältigen von kurzfristigen Problemlagen mit einem strategischen Blick. Auf der anderen Seite steht die längerfristige Ausrichtung der Unternehmen auf eine (digitale) Post-Corona-Ökonomie mit neuen Spielregeln, wie auch immer diese Spielregeln dann genau aussehen werden. Auch hier sind wir dran und freuen uns auf den weiteren Austausch mit einschlägigen Expertinnen und Experten, beispielsweise im Rahmen unserer Zukunftskonferenzen.
Zukunftsfähige Geschäftsmodelle für die Post-Corona-Ökonomie entwickeln
Doch wie schaut es aus, das zukunftsfähige Geschäftsmodell in der Post-Corona-Ökonomie? Wir glauben im Moment: Geschäftsmodelle von KMU bleiben unternehmensspezifisch, doch sie werden wahrscheinlich digitaler, nochmals deutlich kundenorientierter werden und viel öfter angepasst oder verändert werden müssen. Einige Experten vermuten auch, dass immer häufiger und in kürzer werdenden Abständen nur noch radikale Innovationen das Potenzial haben, den Unternehmen ein gesundes Wachstum sichern können. Immer mehr Veränderungen könnten einen disruptiven Charakter haben.[5] Künftig werden möglicherweise erfolgreiche Unternehmen zum Beispiel vermehrt in Business-Ökosystemen und auf (digitalen) Plattformen ihren Kundinnen und Kunden ein möglichst attraktives Wertangebot unterbreiten. Das erfordert einen Blick auf Chancen und Risiken und über die Grenzen des eigenen Geschäftsmodells hinaus.
Erfahrungs- und Lernräume für den Mittelstand
In Erfahrungs- und Lernräumen für alle, die KMU führen und entwickeln wollen, werden im Programmbereich „Krisen als Innovations- und Digitalisierungstreiber nutzen“ innovative Methoden und Handlungshilfen entwickelt und für die Praxis erprobt. Sie sollen Unternehmen helfen, ihre Strategieentwicklung an den neuen Spielregeln der Post-Corona-Ökonomie zu orientieren.
Am 16. und 17. Februar 2021 fand hierzu eine erste Online-Veranstaltung statt. Wir kreieren und probieren aber weitere Formate um kleinen und mittleren Unternehmen in der Krise zur Seite zu stehen. Eine Methode zur Visualisierung des geschäftliche Umfelds als Business Ökosystem können Unternehmerinnen und Unternehmen nun auch in den Zukunftslaboren "(Digitale) Geschäftsideen entwickeln in unsicheren Zeiten" kennen lernen. In Kooperation mit Wirtschaftsförderungen, Wirtschafts- oder Branchenverbänden werden kleine Gruppen von Selbstständigen und Gewerbetreibenden bei Erfahrungsaustausch zur und auf dem Weg aus der Krise begleitet.
[1] VUCA ist ein Akronym für die englischen Begriffe volatility ‚Volatilität‘, uncertainty ‚Unsicherheit‘, complexity ‚Komplexität‘ und ambiguity ‚Mehrdeutigkeit‘. Es beschreibt schwierige Rahmenbedingungen der Unternehmensführung. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/VUCA
[2] PM BVMW 28.12.2020, Link zu den Umfrageergebnissen: https://ots.de/U2rAsU
[3] Dr. Philipp Scheuermeyer, in KfW Research: KfW-ifo-Mittelstandsbarometer: Dezember 2020
Mittelständisches Geschäftsklima vor dem Lockdown in stabiler Verfassung vom 30.12.2020, https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-KfW-ifo-Mittelstandsbarometer/2020/KfW-ifo-Mittelstandsbarometer_2020-12.pdf
[4] Vgl. u.a. Charlotte Raskopf in: Was Ökonomen für die Wirtschaft 2021vorhersagen, Capital.de, 28.12.2020, https://www.capital.de/wirtschaft-politik/was-oekonomen-fuer-die-wirtschaft-2021-vorhersagen
[5] Vgl. u.a. Jean-Philippe Hagmann: Hört auf Innovationstheater zu spielen! – Wie etablierte Unternehmen wirklich radikale innovativ werden.
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