Wann sprechen wir von Krise?
Was unbeweglich ist wie die Erde, lässt sich nicht beweglich machen.
Was beweglich ist wie das Wasser, lässt sich nicht unbeweglich machen. (Lü Bu We)
Spätestens seit dem Einsetzen der Corona-Pandemie ist der Begriff der Krise in aller Munde. Wir alle kennen die Qualitäten und Gefühle, die mit dieser Pandemie einhergehen. Dabei bleibt der Begriff „Krise“ – vielleicht aufgrund seiner Allgegenwärtigkeit – meist seltsam unbestimmt. Wir haben es in diesem Zusammenhang leicht, denn indem wir uns an Führungskräfte aus dem Mittelstand richten, können wir uns hier auf einzelbetriebliche Krisen beschränken. Und dort möchten wir den Begriff der Krise für ein Geschehen reservieren, in dem die Dynamik eines Unternehmens nicht (mehr) zur Dynamik seiner Umwelt passt und – und das ist wesentlich – man dies auch so benennt.
Wir können weder von Krise sprechen, wenn es dem Unternehmen jetzt und in absehbarer Zukunft gut geht, aber jemand den „Teufel an die Wand malt“. Noch können wir den Begriff sinnvoll verwenden, wenn das Unternehmen sich strukturell weit von den Marktanforderungen entfernt hat, es aber niemand wahrnimmt und infolgedessen niemand darüber spricht. Letzteres ist eher selten der Fall, denn Unkenrufe gibt es doch eigentlich immer… Aber werden sie vom Unternehmen gehört?
Das Unternehmen in der Krise – worum geht´s?
Gemeinhin sind Organisationen träge. Zwar muss auch Stabilität immer wieder aufs Neue hergestellt werden, aber alle wissen, wie es geht, und es muss nichts entschieden werden. Das ist effizient. Zur Aufgabe des Managements gehört es freilich auch, immer wieder zu prüfen, ob das Unternehmen noch auf dem richtigen Kurs ist. Infolgedessen wird mit Umbauten experimentiert, bis Umwelt und die Dynamik des Unternehmens wieder besser zusammenpassen. Diese Destabilisierung fordert es stärker heraus, weil die Komplexität (zumindest zeitweilig) steigt und der Erfolg der Veränderung an zwei Größen bemessen werden muss:
- am (erwarteten) Liquiditätserfolg auf der einen und
- an möglichst geringen Schnittstellenproblemen auf der anderen Seite.
Aber auch mit solchen niedrigschwelligen Destabilisierungen hat man Erfahrungen. Bis hierher würden wir nicht auf die Idee kommen, von einer Krise zu sprechen. Allerdings wird deutlich: Unternehmen lassen sich als Nebeneinander von aufeinander bezogenen Stabilisierungs- und Destabilisierungsprozessen beschreiben. So lange die Stabilisierung die Regel und die Destabilisierung die Ausnahme ist, ist dieser Zusammenhang nicht sehr bedeutsam.
Dies verändert sich unmittelbar, wenn man die Route nicht nur um den einen oder anderen naheliegenden Umweg erweitert, sondern einen völlig anderen Weg einschlagen muss – sei es, weil man plötzlich auf eine eingestürzte Brücke trifft oder die kontinuierlich sinkende Temperatur darauf hinweist, dass es in ein paar Tagen zu kalt zum Weiterreisen wird. Hier entsteht die erste erhebliche Einflussmöglichkeit der Reiseführerin oder – um zu unserem ursprünglichen Kontext zurückzukehren – des Managements: Wie, mit wem, wann, in welcher Reihenfolge und mit welcher Haltung das Management über das Geschehen spricht, ist maßgeblich für alle weiteren Aktivitäten.
Benennen wir das Ganze als existenzielle Krise, stehen die Karten gut, dass im Unternehmen viel Commitment für die Destabilisierung entsteht – mit dem Risiko, dass zu viel Verlässliches (Stabilisierendes) unreflektiert aufgegeben wird und die Mitarbeitenden mehr handeln, als zu diskutieren oder zu überdenken. Erfolgt die Situationsbewertung eher moderat, riskieren wir hingegen eine geringere Veränderungsbereitschaft und -kraft. Hier wird deutlich: Sobald ein hohes Destabilisierungspotenzial im Spiel ist, müssen Destabilisierung und – das mag paradox klingen – Stabilisierung in den Blick genommen werden. Das zeichnet gutes Krisenmanagement aus.
Agilität und Resilienz – ein (un)gleiches Paar?
Jetzt ist nicht die Zeit, um darüber nachzudenken, was Du nicht hast.
Überlege, was Du mit dem tun kannst, was da ist.
Ernest Hemmingway
Was wir angesichts eines kritischen und unvorhergesehenen Ereignisses tun können, bemisst sich an unseren Handlungsspielräumen: Ob wir unsere Route aufgrund eines unpassierbaren Hindernisses um viele Kilometer durch unbekanntes Terrain verlegen müssen oder ob wir es auf direktem Weg überwinden können, hängt vielleicht schlicht davon ab, ob wir zu Beginn der Reise ein paar Seile eingesteckt haben und dieses Mehrgewicht zulasten anderer kritischer Größen, wie etwa Tragkraft, Platz oder Reisezeit akzeptiert haben.
Aber zurück zum Management: Erfordert ein kritisches Geschehen die Destabilisierung des Unternehmens und eine zügige Reaktion, kann es nur die Anpassungen vornehmen, für die es auch die benötigten Ressourcen hat oder sehr schnell beschaffen kann. Diese Beweglichkeit beschreibt im Grunde den Begriff der Agilität. Kleine und mittlere Unternehmen haben beispielsweise in Form von kurzen Entscheidungswegen, Kundennähe, pragmatischen Entscheidungsprozessen und oftmals kleinen (Führungs-)Teams gute Voraussetzungen für diese kurzfristige Beweglichkeit. Je effizienter, größer, älter und differenzierter das Unternehmen ist, umso schwieriger wird üblicherweise auch ein schnelles Umstellen. Unabhängig davon, ob diese strukturellen Vorteile Zufallsprodukt oder Ergebnis planvollen Handelns sind: Agilität erfordert erhebliche Kompetenzen des Managements, kurzfristig angemessen zu destabilisieren und zu stabilisieren. Was dies praktisch bedeuten kann, beleuchten wir im zweiten Teil dieses Beitrags.
Du kannst die Wellen nicht anhalten, aber Du kannst lernen, auf ihnen zu reiten.
Joseph Goldstein
Die Resilienz verstehen wir in zeitlicher Perspektive hingegen als langfristiges Geschehen. Zwar können (und müssen) agile Prozesse auch geübt werden, die Frage nach dem Möglichkeitsraum ist aber eine Frage von
- Vorsteuerung (siehe die Seile im Beispiel oben),
- Geschichte (Erfahrungen im Bergsteigen) und
- Unabhängigkeit (Kompass) des Unternehmens sowie
- der beteiligten Menschen.
Verstehen wir Resilienz als Vermögen von Unternehmen, etwas abzufedern und sich einer dynamischen Umgebung anzupassen, beschreibt dieser Ansatz vor allem ihr Stabilisierungs- und Destabilisierungsvermögen.
Ob eine Organisation resilient ist, lässt sich also an der Anzahl an Alternativen bemessen, stabilisierend und destabilisierend mit ungeplanten Zukünften umzugehen. In entsprechende Potenziale lässt sich gut investieren, allerdings nicht kurzfristig. Kurzum: Krisenbewältigungskompetenz bemisst sich an Beweglichkeit: kurzfristig in der Form, wie gut und zielgerichtet man bestehende Ressourcen unter Ungewissheitsbedingungen nutzen kann (Agilität) und langfristig abhängig davon, welches Maß an Vorbereitung für Unvorhergesehenes man zulasten von Effizienz akzeptiert (Resilienz).
Der Mensch, das Unternehmen und die Krise
Ein Unternehmen kann nicht wahrnehmen - es kann ohne menschliches Zutun im Grunde genommen nichts. Es ist zwar nicht sonderlich relevant, von welcher konkreten Person dieses menschliche Zutun ausgeht, aber:
Eine Krisensituation wird von Menschen konstruiert, ausgerufen: („Ich habe gerade den Liquiditätsforecast um die ausgefallenen Aufträge bereinigt: Wir werden in Q3 unsere Rechnungen nicht bezahlen können, wenn nichts passiert. Wir stecken in einer Krise!“) und erlebt: („Oh nein, wenn wir pleitegehen, ist das eine Katastrophe!“). Daraus folgt, dass der Umgang mit den Mitarbeitenden grundlegend für jegliches Krisenmanagement ist.
Auch die Unterscheidung zwischen „Was kann ich in der aktuellen Situation aktivieren?“ (kurzfristige Agilität) und „Welche Potenziale kann und will ich erarbeiten?“ (langfristige Resilienz) lässt sich hier anwenden und so ergibt sich eine Vier-Felder-Matrix zum Krisenmanagement. An ihr orientieren wir uns nun mit unseren operativen Tipps und Learnings.
| Organisation | Mensch |
Kurzfristiges Krisenmanagement | Organisationale Agilität | Personale Agilität |
Mittel- und langfristiges Krisenmanagement | Organisationale Resilienz | Personale Resilienz |
Das Unternehmen in der Krise: Organisationale Agilität
Gerät ein Unternehmen in eine akute Krisensituation, geht es vornehmlich darum, in einen anderen, insbesondere schnellen und umsetzungsstarken, Steuerungsmodus zu gelangen. Daneben geht es darum, eine grundlegende Situationsbewertung ausgehend von der individuellen Krisenbetroffenheit zu treffen: Mithilfe von Szenarien zu mittel- und langfristigen Auswirkungen muss immer wieder aufs Neue entschieden werden, ob man die Krise unter den genannten Bedingungen einfach aussitzt, das Unternehmen vorübergehend in den Winterschlaf schickt oder sich an verändernde Umweltbedingungen anpasst.
Diese grundsätzliche Beurteilung lässt Rückschlüsse auf die „Kommunikationspolitik“ zu: ist es realistisch, dass das Unternehmen die Krisensituation aussitzt, mag man mit alarmierenden Krisenbotschaften zurückhaltender sein als in dem Fall, dass das Unternehmen eine Kehrtwende hinlegen muss, um zu überleben. In jedem Fall und unabhängig von der Situationsbewertung sollte die Kommunikation mit Finanzierenden, Beschäftigten, Betriebsräten, Kundinnen und Kunden sowie mit Lieferanten und Behörden mindestens aufrechterhalten, häufig eher noch intensiviert werden.
All das kann mithilfe einer „Corona-Taskforce“ gelingen, einem kompetenten Team aus den zentralen Führungs- und Fachkräften. Diese „Superhierarchie“ verschafft immense Geschwindigkeit und Umsetzungskraft. Hier geht es sowohl um den kommunikativen Umgang mit der Krise, als auch darum, Liquiditäten möglichst stabil zu halten und destabilisierende Anpassungen, beispielsweise des Geschäftsmodells, mit Augenmaß einzusteuern. Dazu sammelt sie relevante Informationen, interpretiert, bewertet, leitet Maßnahmen ab, setzt um und passt an – regelmäßig und meist in Form täglicher Treffen. Aussagekräftige Kennzahlensets und eine Liquiditätsplanung mit rollierenden Updates sind in diesem Zusammenhang und mit Blick auf Geschwindigkeit fast unverzichtbar. Dabei ist es wesentlich, in Szenarios zu denken: Wie wahrscheinlich sind die geplanten Einnahmen und Ausgaben bei nüchterner Betrachtung?
Um Liquiditätsbedarfe abzusichern sind unternehmensintern Haushaltssperren mit niedrigen Genehmigungsgrenzen und strikten Freigabeprozessen ein bewährtes Instrument. Nach außen kommen Ratenstundungen oder die Erweiterung des Kreditrahmens bei finanzierenden Banken in Frage, aber auch das Nutzen öffentlicher Förderungen, etwa in Form von Überbrückungshilfen, Steuerstundungen und Kurzarbeit. Ebenso können das Einrichten von Konsortiallagern gegenüber den Lieferanten sowie ein vehementeres Forderungsmanagement gegenüber der Kundschaft angesagt sein.
Auf Grundlage eines stabilen Liquiditätsmanagements können vor- und umsichtige Anpassungen des Geschäftsmodells gelingen, beispielsweise:
- Auf veränderte Kundenbedürfnisse reagieren: Was können wir ausgehend von unseren Kompetenzen und Ressourcen sinnvoll und schnell am Markt anbieten (und was nicht)?
- Absatzkanäle und Vertrieb anpassen: Was lässt sich beispielsweise sinnvoll digitalisieren oder „ins Freie verlegen“? Allgemeiner: Wie erreicht man unter den veränderten Bedingungen potenzielle Kundinnen und Kunden bestmöglich?
- Prozesse effizienter gestalten: Können Prozesse beispielsweise mithilfe der Digitalisierung oder in Form von Personalbedarfsanpassungen straffer gestaltet werden?
- Supply Chains beobachten und gegebenenfalls umbauen: Wie kann ein verlässliches, nachhaltiges und redundantes Lieferantenmanagement aussehen?
- Erlösmodell anpassen: Wie lässt sich ein Erlösmodell konstruieren, das zur Zahlungsbereitschaft der Kundinnen und Kunden passt? Kann Liquidität beispielsweise über den Vertrieb von Gutscheinen oder anderen Mikrofinanzierungen generiert werden? Kommen Pay per use-Modelle in Frage?
Aus all dem gesagten folgt ein erheblicher Mehraufwand für Management- und Steuerungsprozesse – eine empfindliche, aber meist notwendige Investition angesichts knapper Ressourcen.
Die Mitarbeitenden in der Krise: Personale Agilität
Eine Unternehmenskrise bleibt nicht ohne Folgen für die Beschäftigten. Auch wenn eine Liquiditätskrise nicht unbedingt bedeutet, dass auch gleich der Säbelzahntiger leibhaftig vor der Tür steht, gilt dies im übertragenden Sinne. Das autonome Nervensystem reagiert auf viele mit solchen Krisen verbundene Trigger unmittelbar und aktiviert den Organismus für Flucht und Angriff oder deaktiviert ihn einem Totstellreflex nicht ganz unähnlich. Beide Zustände sind langfristig für ein besonnenes Management wenig hilfreich. Gefragt sind vielmehr kontaktfähige Beschäftigte, die auf die jeweilige Situation angemessen reagieren und möglichst auch mittelfristig auf alle Ressourcen zurückzugreifen können, die ihnen zur Verfügung stehen.
Diese Form von Beweglichkeit lässt sich managementseitig in unterschiedlicher Weise unterstützen. Führungskräfte sind in Krisensituationen sowohl wichtiger (manchmal auch einziger) Gegenüber als auch Rollenmodell (Vorbildwirkung). Da ist es hilfreich, wenn sie innerlich sicher und gleichzeitig beweglich aufgestellt sind. Erkennbar ist dies beispielsweise durch eine realistisch-optimistische Haltung und einen besonnenen Pragmatismus. Neben den „Hard Facts“ auch die „Heart facts“ im Blick zu behalten, erfordert kompetente Selbstführung und Spielräume für Empathie den Beschäftigten gegenüber. Fast immer kommen in einer solchen Situation Ängste ins Spiel, ein kompetenter Umgang mit diesen Ängsten ist gewissermaßen Schlüsselkompetenz in Krisensituationen. „Angst ist ein schlechter Ratgeber“, sagt man und könnte ergänzen: „keine Angst auch“. Schließlich informiert sie uns sehr unmittelbar darüber, was wir gelernt haben, für gefährlich zu halten. Ein Ausblenden kann sie nicht nur unbewusst eskalieren lassen, es fehlt auch eine wichtige Informationsquelle. Ratsamer ist in dieser Hinsicht vielmehr, Ängste ernst zu nehmen und ihnen ein inneres wie äußeres Umfeld zu bieten, in denen sie auf einen warmen, akzeptierenden Blick und Halt treffen. Ein tragfähiges Miteinander ist auch ohne Psychologiestudium sicher ein guter Anfang.
Das Unternehmen vor & nach der Krise: Organisationale Resilienz
Resilienz ist für das akute Krisenmanagement gewissermaßen ein zahnloser Tiger. Schließlich lässt sich immer erst hinterher feststellen, wie resilient ein Unternehmen in Bezug auf diese spezifische Krise ist bzw. war – je nachdem, wie es durchgekommen ist. Wir wissen bislang nur wenig über Resilienzfaktoren von Organisationen, aber in unserer engen Zusammenarbeit mit kleinen und mittleren Unternehmen kommen einige Aspekte immer wieder vor. Unstrittig zahlt vieles, das die kurzfristige Agilität ausmacht, auch auf die Resilienz ein. Dazu gehört zweifelsfrei die Beziehungspflege zu wesentlichen Stakeholdern, aber auch der Blick auf die Finanzen: das Erhöhen der Eigenkapitalquote, das Bilden von Rücklagen und das Reinvestieren von Gewinnen steuert die langfristige Finanzierungssicherheit vor (wie uns das Eichhörnchen das vormacht).
Nun bildet jedoch nicht mehr die Liquidität den Schwerpunkt der Beobachtung, sondern die Entwicklung von Möglichkeitsräumen (da haben wir wieder die Seile aus dem Beispiel oben) im Zusammenspiel mit den marktbezogenen Entwicklungen. Als Kurzstreckenradar eignet sich der Fokus auf kritische Ereignisse auf der operativen Ebene: Fehler, Regelbrüche & Konflikte können als erste Anzeichen für überholte Prozesse und Strukturen dienen. Und es ist auch die Zeit gekommen, „Meckerern“ und „Störenfrieden“ wieder Gehör zu schenken. Das Langstreckenradar hält dagegen relevante Umwelten im Blick. Dabei hilft das Konzept der Business Ökosysteme, das die relevanten Marktteilnehmenden und Wertschöpfungsprozesse differenziert und im Zusammenspiel darstellt. Aus diesen Informationen und gesellschaftlichen (Mega-)Trends lassen sich Muster ableiten und bodenständige Szenarios entwerfen. Daraus ergibt sich nicht nur Orientierung, das Einüben dieser Prozesse wappnet auch für die nächste Krise.
Die Steuerung des Unternehmens lässt nun auch wieder mehr Raum und Zeit für kreative Prozesse und den Einbezug vielfältiger Perspektiven. Die hierarchische Fremdorganisation verliert gegenüber stärker selbstorganisierten Arbeitsweisen an Boden.
Schauen wir auf das Leitthema dieses Artikels – nämlich das Nebeneinander von Stabilisierung und Destabilisierung als Gestaltungsaufgabe für das (Krisen-) Management – erfordert Beweglichkeit nun mehr Aufwand und trifft auf schwerwiegendere Widerstände. So lange das Unternehmen stabil positioniert ist, ist der Blick auf Destabilisierendes, etwa in Form von riskanten Innovationsvorhaben kontraintuitiv, aber als Krisenvorsorge relevant. Andererseits tun sich Unternehmen auf einem erfolgreichen Innovationskurs eher schwer, der Stabilität des Systems mit angemessener Wertschätzung entgegenzutreten, was ebenfalls unter der Perspektive von Krisenvorsorge wichtig wäre.
Eine langfristige lohnenswerte Perspektive betrifft das Schaffen von selbstgenügsamen Geschäftsmodellen. Gemeint ist damit die Gestaltung eines Systems, das mit wenig Inputs von außen zurechtkommt und wenig Unnützes schafft. Die Kreislaufwirtschaft bildet hier gewissermaßen das Vorbild und Kooperationen sind regelmäßig notwendig, um dies zu bewerkstelligen. Einige Beispiele: statt Zulieferer aus Asien eine langfristige Kooperation mit einem regionalen Partner, zero plastic, zero waste, ressourcenschonende Produktionsprozesse, strikte Begrenzung der Mitarbeitendenzahl.
Die Mitarbeitenden vor & nach der Krise: Personale Resilienz
Sprechen wir von personaler Resilienz sieht die empirische Lage etwas besser aus. Klassischerweise wird dabei zwischen
- Umweltfaktoren im Sinne belastbarer Beziehungen und Bindungen,
- personalen Faktoren, wie kognitiven und emotionale Fähigkeiten, hohe Selbstwirksamkeitserwartungen, Unsicherheitstoleranz, Beziehungsfähigkeit und Problemlösungsorientierung, sowie
- Prozessfaktoren im Sinne der Fähigkeiten, Chancen und Perspektiven in Krisen zu erkennen, Unveränderbares zu akzeptieren und sich zu fokussieren, unterschieden.
Dies lässt sich (in begrenztem Maße) betrieblich unterstützen, so lange man die Autonomie des Individuums nicht allzu sehr in Mitleidenschaft zieht. Dass es auch hier maßgeblich auf Stabilisierungs- und Destabilisierungskompetenzen ankommt, liegt auf der Hand. In unserer Erfahrung steht im Zentrum personaler Resilienz ein sicherer Ort im Inneren, der als unerschütterlicher Quell von Stabilität dient, eine Verschiedenheitskompetenz in dem Sinne, sich dem Ausgeschlossenen neugierig (und selbstdestabilisierend) zuwenden zu können sowie eine Reflexion oder gar Bearbeitung ungünstiger innerer Konflikte. Führung kann beitragen, indem sie in technische, soziale (etwa Konfliktfähigkeit), kognitive (etwa Kreativität) und emotionale Kompetenzen (etwa Kraft, Autonomie und Lebendigkeit) investiert. Ein gesundes Miteinander im Unternehmen, in dem sich vornehmlich innerlich Erwachsene begegnen können, beispielsweise in dialogischen Informations- und Austauschformaten, kann zu Belastbarkeit und persönlichem Wachstum beitragen. Vor allem anderen aber hilft ein Managementverständnis, das Selbstwahrnehmungs- und emotionalen Prozessen einen der kognitiven Ebene mindestens ebenbürtigen Stellenwert gibt.
Vier-Felder-Matrix zum Krisenmanagement
| Organisation | Mensch |
Kurzfristiges Krisenmanagement | Organisationale Agilität:
| Personale Agilität
|
Mittel- und langfristiges Krisenmanagement | Organisationale Resilienz Entwicklung von Möglichkeitsräumen im Zusammenspiel mit den marktbezogenen Entwicklungen Indikatoren und Impulse
Gestaltung des Nebeneinanders von Stabilisierung und Destabilisierung
Schaffen von selbstgenügsamen Geschäftsmodellen
| Personale Resilienz Faktoren für personale Resilienz:
Managementverständnis und Führungsverhalten als Investition in
|
Die Autoren
Kathrin Großheim ist Referentin im Fachbereich Digitalisierung und Innovation im RKW Kompetenzzentrum. Unternehmern, Unternehmerinnen und Führungskräften in kleinen und mittleren Unternehmen hilfreiche Impulse und sinnvolle Unterstützung bieten zu können, reizt sie an der Arbeit im RKW am meisten. Der Schlüssel dazu ist gemeinsame Entwicklungsarbeit auf Augenhöhe, gepaart mit theoretischem und methodischem Know-how.
Patrick Großheim ist Referent im RKW Kompetenzzentrum. Er hat verschiedene Publikationen verfasst und beschäftigt sich vor allem mit Veränderungsprozessen von Organisationen, Teams, Einzelpersonen und deren Wechselspiel. Thematisch fühlt er sich der Strategie- und Geschäftsmodellentwicklung sowie der (strategischen) Personalarbeit in mittelständischen Unternehmen verbunden.
Das Projekt
Der Programmbereich „Krisen als Innovations- und Digitalisierungstreiber nutzen“ unterstützt und begleitet kleine und mittlere Unternehmen in der Pandemie und anderen krisenhaften Veränderungsprozessen. Aus den Beobachtungen werden Handlungshilfen und Konzepte zur Bewältigung von Krisen mit disruptivem Charakter entwickelt. Hierzu gehören Methoden, Konzepte und Tools zum Krisenmanagement, zur Strategieentwicklung in disruptiven Umfeldern und zur Förderung von Innovationskraft und Veränderungsfähigkeit.
Tools
"Organisationsabenteuer erfolgreich bestreiten" heißt die Toolbox für alle die kleine und mittlere Unternehmen in Krisen führen und auf künftige Krisen vorbereiten wollen. Die Tools sind digital oder als Kartenset verfügbar und laden zu einer intuitiven Arbeitsweise ein.
Lassen Sie sich von den Zitaten und Bildern inspirieren. Schauen Sie, welches Tool sich auf der Neben- oder Rückseite verbirgt.
Blättern Sie einfach durch die Karten oder das Dokument. Ob und wie kann das Tool Ihnen helfen.
Nutzen Sie die Tools allein, im Team oder in der Organisation. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg.
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