Die Tobit Software Laboratories AG aus Ahaus ist ein Softwarehersteller der etwas anderen Art: Unabhängig von der Branche hat sich das Unternehmen zum Ziel gemacht, die Forschung an und Entwicklung von Technologien und Software-Produkten in den verschiedensten Bereichen voranzutreiben. Dabei kommt dem Unternehmen zu Gute, dass es neben der Softwareherstellung noch Bars, Restaurants, einen eigenen Verein und sogar einen Ruderbootverleih betreibt und diese Betriebe als Reallabore nutzen kann. 

Die Idee zur Einführung der Vier-Tage-Woche stammt vom Geschäftsführer Tobias Groten selbst. Ziel war es "dem Hamsterrad" zu entkommen und mehr Work-Life-Balance zu ermöglichen, damit die Beschäftigten erholter und mit mehr Fokus arbeiten können. Da das Unternehmen sehr erfolgreich und effizient arbeitet – auch aufgrund des hohen Digitalisierungsgrades – und gleichzeitig kein klassischer Dienstleister mit fremd gesetzten Fristen ist, wurde aus der Idee dann Realität. 

Die 20‐prozentige Leistungsminderung, die rein rechnerisch entsteht, fangen wir durch die extreme Digitalisierung bei Tobit.Software gegenüber anderen Unternehmen schon seit vielen Jahren auf.

Tobias Groten, Geschäftsführer bei der Tobit Software Laboratories AG

Auf Los geht's los: die Einführung der Vier-Tage-Woche im Sprint

Die Vier-Tage-Woche wurde quasi von heute auf morgen im Juni 2022 eingeführt. Die Beschäftigten wurden damit auf einer Betriebsversammlung vom Geschäftsführer „überrascht“ und die Abteilungen haben dann im „Trial and Error“-Verfahren versucht die Vier-Tage-Woche umzusetzen. Hintergrund dieses Vorgehens war, dass ein „Zerreden“ und langwierige Planungen der Vier-Tage-Woche vermieden werden sollten.  

Und dann fing er an es zu erklären: Wir machen jetzt die 4-Tage-Woche und das meine ich ganz ernst, am Mittwoch seid ihr frei. Und eigentlich würde man ja denken, alle stehen auf, klatschen, jubeln und sind außer sich. Aber wir saßen da und jeder hat sich umgeguckt und gedacht, was ist denn jetzt hier los, wo ist das „Aber“?

Luisa Kemper, Talent Scout und Ausbilderin bei der Tobit Software Laboratories AG

Die Vier-Tage-Woche bei Tobit.Software – was das im Detail bedeutet:

  • 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich für alle Beschäftigten in allen Bereichen (Marketing, Entwicklung, Verwaltung, Handwerk, Gastronomie und Lernende).
  • Feste Kernarbeitszeiten, die für die meisten Beschäftigten gelten: Mo.-Do., 8:30 Uhr bis 17:30 Uhr (Arbeitszeiten unterscheiden sich je nach Bereich).
  • Alle haben an einem gleichen Tag in der Woche frei (ausgenommen sind die Bereiche Handwerk, Gastronomie und Lernende).
  • Anpassung der Urlaubstage auf 20 Tage (entspricht nach wie vor fünf Wochen Urlaub, da nun für den freien Tag pro Woche kein Urlaub mehr genommen werden muss).
  • Homeoffice bzw. Angebote zur mobilen Arbeit nur in Ausnahmefällen, da im Unternehmen Wert auf persönlichen Kontakt vor Ort gelegt wird.

Ambivalent ist hier natürlich, dass es eine Präsenzpflicht und feste Arbeitszeiten gibt – für viele Arbeitnehmende heutzutage erstmal keine überzeugenden Rahmenbedingungen. Dem Unternehmen ist jedoch der persönliche Kontakt bei der Zusammenarbeit und auch der Entwicklung neuer Beschäftigter von größter Bedeutung. Gleichzeitig sind laut Geschäftsführer viele Arbeitsthemen und Abteilungen miteinander verbunden und funktionieren synchronisiert und in Präsenz einfach deutlich besser – insbesondere bei einem Unternehmen, dass sich als eine Mischung aus Bildungseinrichtung und Produktionsbetrieb sieht. Die Vier-Tage-Woche scheint so für die Beschäftigten einen angemessen Ausgleich für weniger Flexibilität zu schaffen. 

Was sind die bisherigen Learnings?

Learning 1: Verschiedene Bereiche benötigen verschiedene Arbeitszeitmodelle

Die Beschäftigten bei Tobit.Software können in drei Gruppen aufgeteilt werden, die alle verschiedene Rahmenbedingungen haben und daher auch verschiedene Arbeitszeitmodelle benötigen. An der grundsätzlichen Entscheidung, dass nicht mehr an fünf, sondern nur noch an vier Tagen in der Woche gearbeitet wird, ändert sich nichts.

  1. Unternehmensbereiche und -funktionen, wie Handwerkertätigkeiten oder die Gastronomie, werden an 365 Tagen im Jahr benötigt. Daher kann es in diesen Bereichen keinen einheitlichen freien Tag geben. Die Wochenarbeitszeit beträgt auch hier 32 Stunden (mit vollem Lohnausgleich), doch die Arbeitszeiten und -tage können variieren.
  2. Beschäftigte aus der Entwicklung, dem Marketing oder der Verwaltung sollen möglichst viel Zeit miteinander verbringen. Daher gibt es einen einheitlichen freien Arbeitstag in der Woche.
  3. Für alle Beschäftigten in der Ausbildung, im Praktikum oder Trainees gilt eine „4+1-Tage-Woche“: Der Freitag wird für alle „Lernenden“ zum Studientag und kann für die persönliche Entwicklung genutzt werden.

Learning 2: Der Umgang mit Feiertagen

Der freie Arbeitstag entfällt in den Wochen des Jahres, in denen die Vier-Tage-Woche bereits durch einen Feiertag „Gesetz“ ist. Der freie Tag ist dann ausnahmsweise nicht dem Unternehmen, sondern der Kirche oder dem Staat zu verdanken.

Hintergrund für diese Entscheidung ist, dass Feiertage für einen Betrieb mit einer Vier-Tage-Woche drastische Auswirkungen haben können. Aus insgesamt 11 Feiertagen im Jahr können mit deutscher Brückentags-Kultur schnell einige Wochen Urlaub werden - mit dem Potenzial, den Betrieb lahm zu legen.

Learning 3: Gleichzeit statt Gleitzeit

Für die substanzielle Reduzierung der Arbeitszeit müssen die Beschäftigten ein gewisses Maß an Flexibilität aufgeben:

  1. Reduktion der Urlaubstage auf 20 Tage
  2. Harmonisierung der Arbeitszeit und -tage (ausgenommen sind hier Beschäftigte aus dem Handwerk und der Gastronomie) – also keine Gleitzeit bzw. flexible Arbeitszeiteinteilung
  3. Präsenzpflicht – Homeoffice und mobile Arbeit nur in Ausnahmen

Learning 4: Verschiebung des freien Tages – Von Mittwoch auf Freitag

Bei der ursprünglichen Umstellung auf eine Vier-Tage-Woche wurde für alle Beschäftigten der Mittwoch als freier Tag festgelegt. Hintergrund für diese Entscheidung war die ursprüngliche Überzeugung, dass man nach zwei Tagen konzentrierter Arbeit eine Pause gebrauchen kann, um danach dann wieder erholt in die zweite Wochenhälfte zu starten. Tatsächlich wurde aber durch die Pause in der Wochenmitte die Produktivität beeinträchtigt. Der freie Tag wurde deshalb dann auf den Freitag gelegt. Diese Umstellung dient aber gleichzeitig auch der Harmonisierung der Arbeitszeit "mit dem Rest der Welt".

Die Moral von der Geschicht' – Standardlösungen gibt es nicht

Die Vier-Tage-Woche erfährt in der heutigen Arbeitswelt eine stetig wachsende Beliebtheit, doch sie bleibt nicht frei von Kontroversen, insbesondere angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels. Sie hat das Potenzial, den Arbeitnehmenden eine verbesserte Work-Life-Balance zu ermöglichen, stellt Betriebe aber auch vor Herausforderungen in puncto Produktivität, Umsetzbar- und Finanzierbarkeit. In vielen Fällen können Unternehmen, die ein effektives Modell einführen, die Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden steigern und somit ihre Attraktivität als Arbeitgeber erhöhen. Dennoch ist nicht jede Branche oder jedes Unternehmen für eine Arbeitszeitreduktion bzw. die Arbeitszeitverteilung auf vier Tage geeignet. Trotz dieser Herausforderungen zeigen bereits zahlreiche Betriebe, dass die Vier-Tage-Woche in verschiedenen Ausgestaltungen funktioniert und dazu beitragen kann, eine nachhaltigere und gesündere Arbeitskultur zu fördern.