Organisierte Weiterbildung: Gegenstandsbestimmung

Die Spitze des Eisberges

Bildungscontrolling kann natürlich nicht Lernen allgemein in einem Unternehmen erfassen. Der größte Teil des Lernens der Mitarbeiter findet mehr oder weniger informell, als integraler, überwiegend zufälliger Bestandteil von Arbeitsprozessen statt. Es ist offensichtlich, dass dieser Teil des Lernens sich kaum planen, steuern und kontrollieren lässt40. Deshalb muss Bildungscontrolling seinen Gegenstand, das Lernen in einem Arbeitssystem, weiter eingrenzen: Bildungscontrolling bezieht sich ausschließlich auf formelles lernen innerhalb eines spezifischen – intentionalen – Lernarrangements, das organisiert werden muss und insofern in der Regel mit Kosten verbunden ist. Auf der Ebene des Arbeitssystems geht es also immer um organisierte Weiterbildungsmaßnahmen.

Diese Abgrenzung gegenüber dem arbeitsintegrierten Lernen impliziert im Besonderen auch, dass alle (unter Umständen sehr lehrreichen) Veranstaltungen, deren primärer Zweck jedoch nicht Kompetenzerwerb oder -erweiterung ist, wie zum Beispiel Arbeitsgruppensitzungen, Besprechungen eines Projektteams, Projektarbeit überhaupt, Planungsworkshops, Kaffeepausen und dergleichen, hier außer Betracht bleiben.41

40 Auch wenn die Versuche, dies zu tun, und sogar informelles Lernen zu zertifizieren, nicht abbrechen.
41 Es ist durchaus nicht selten anzutreffen, dass Unternehmen bestimmte Planungsaktivitäten mit erheblichen qualifizierenden Anteilen (bis hin zu Vorbereitungen ihres Führungsnachwuchses) außerhalb des Personalentwicklungsbereichs angesiedelt haben. Unschärfen in der Abgrenzung zur organisierten Weiterbildung sind hier nicht zu vermeiden.

Pflichtprogramm und Wunschkonzert

Auf der Grundlage dieser ersten Abgrenzung ist eine weitere Unterscheidung zu treffen, und zwar zwischen angebots- und nachfrageorientierter Weiterbildung. Letztere ist diejenige, die aus dem Arbeitssystem heraus – aus der Abweichungsanalyse (siehe abschnitt 4.2) – kommt und als „Nachfrage“ bei der Personalabteilung auftaucht. Das ist die typische unmittelbar produktivitätsgetriebene Weiterbildung. Sie „zieht“ aus der Organisation das Weiterbildungserfordernis und die Weiterbildungsaktivität heraus („Pull-Prinzip“). In einem weiteren Sinne gehören dazu auch standardisierte Weiterbildungsprogramme, die mitunter, aber nicht immer, Resultate strategischer Entscheidungen auf Unternehmensebene sind und sich an bestimmte Zielgruppen richten, zum Beispiel Führungsschulungen für angehende Führungskräfte, Fachseminare für Fachkräfte im Rahmen einer Fachlaufbahn oder periodische Excel-Schulungen für Sachbearbeiter. Auch solche Programme beziehen sich auf Abweichungen in einem Arbeitssystem, gegebenenfalls im Arbeitssystem Unternehmen, indem sie dem entstehen einer Abweichung vorbeugen und auf diese Weise einen dem Arbeitssystem zurechenbaren Produktivitätsbeitrag leisten (prophylaktischer Nutzenbeitrag – siehe abschnitt 4.4). Bei diesem nachfrageorientiertem Weiterbildungstypus schult man nicht auf Vorrat, und für die Zielgruppe ist die Teilnahme in der Regel verpflichtend. Zusammengefasst: Die einem Arbeitssystem zurechenbare produktivitätsgetriebene nachfragende und verpflichtend organisierte Weiterbildung ist controllingfähig im engeren Sinne.

Nice to have

Demgegenüber tritt der angebotsorientierte Typus vorwiegend auf in Gestalt eines – oft sehr bunten – Kataloges mit Weiterbildungsangeboten, mit viel guten Absichten initiiert von der Personalabteilung. Für die Mitarbeiter ist die Teilnahme freiwillig. Auch wenn diesen Angeboten mitunter Bedarfsanalysen, zum Beispiel als Fragebogenerhebungen, vorangehen, handelt es sich um Weiterbildungen, die außerhalb des Managements von Arbeitssystemen entstehen und in diese „gedrückt“, diesen übergestülpt werden („Push-Prinzip“). Der Wunsch als Vater des Gedankens angebotsorientierte Weiterbildungen vermuten, dass die Fähigkeiten, die sie vermitteln wollen, auch irgendwie im Unternehmen gebraucht werden und nützlich sind. Angebotsorientierte Weiterbildung verfolgt also – manchmal bewusst, meist unbewusst – durchaus Zwecke, die dem Unternehmen förderlich sein können, allerdings mit nur mittelbar wirtschaftlicher Zwecksetzung in Richtung der sogenannten weichen Faktoren und mit langfristigen Wirkungen. Dieser angebotsorientierte Weiterbildungstypus ist nur in Ausnahmefällen controllingfähig im Sinne eines zurechenbaren Nutzen-Kosten-Verhältnisses.

Es bedarf einer Grundsatzentscheidung der Geschäftsführung, welchen Typus von Weiterbildung sie im Unternehmen fordert und fördert:

  • den produktivitätsgetriebenen Nachfragetypus, oder
  • den unspezifische Zwecke verfolgenden Angebotstypus, oder
  • beide in einem ausgewogenen Verhältnis.

Eine solche Grundsatzentscheidung42 gibt den Beteiligten im Unternehmen Orientierung. Alles Weitere ist auf dieser Grundlage dann eine Frage des „Wie“.

42 Beim Fehlen einer solchen Richtungsentscheidung kommt es typischerweise dazu, dass in Unternehmen zwar einerseits Weiterbildungskataloge der Personalabteilung mit überwiegend zweckfreien Angeboten akzeptiert und gepflegt werden, andererseits die Geschäftsführung dann aber gelegentlich vom Personalleiter Nachweise über den wirtschaftlichen Nutzen der Weiterbildung und ihrer Kosten für das Unternehmen verlangt. Für diesen stellt eine solche Situation gewissermaßen eine „Mission Impossible“ dar, denn beides zusammen, Weiterbildungskatalog und Nutzennachweis beziehungsweise Controlling, geht nicht, jedenfalls nicht ohne unangemessene Verrenkungen.

Das Spielfeld eingrenzen

Es erweist sich also als sinnvoll, den Anwendungsbereich von Bildungscontrolling in einem Unternehmen genau einzugrenzen: Was ist mit organisierter Weiterbildung konkret gemeint, welche Schwellen sind relevant und bezeichnen den Geltungsbereich von Bildungscontrolling? Auf der Grundlage der Unterscheidungen in Bild 6 und 7 lässt sich die Empfehlung ableiten, nur die organisierten Weiterbildungen (einzelne Maßnahmen wie auch Programme), die auf der Ebene eines Arbeitssystems mit Produktivitäts- und Marktanteilsargumenten begründbar sind, in Bildungscontrolling einzubinden.

Sinnvolle Schwellen können Wertgrenzen sein, wie sie generell im Investitionscontrolling üblich sind.43 Solche Wertgrenzen können für Weiterbildungsinvestitionen festgelegt werden. Zusätzlich sollten deren strategische Bedeutung und Nutzenbeiträge bewertet werden. Der RKW-Bildungscontrolling-Leitfaden stellt hier unterstützende Instrumente zur Verfügung.44

Prinzipiell kann die Definition des Geltungsbereichs von Bildungscontrolling in einem Unternehmen Gegenstand einer Verfahrensanweisung sein.45

43 Vgl. z. B. Horvath & Partners (2009) S. 141 f.
44 Vgl. RKW Baden-Württemberg (2013) S. 28 ff.
45 Vgl. ebd. S. 12 ff.