Vorbemerkungen des Herausgebers

Karrieren jenseits von Führung - Grundlagen und Gestaltungsdimensionen von Expertenlaufbahnen in der betrieblichen Praxis

Experten- bzw. Fachlaufbahnen1 sind in der Praxis ein außerordentlich komplexes Thema. Man übertreibt kaum, wenn man feststellt, dass jedes Unternehmen im Konkreten etwas anderes darunter versteht.

In dieser Situation kann es nicht schaden, etwas Boden unter die Füße zu bekommen, auch wenn sich damit für den Praktiker die Anstrengung der Lektüre eines etwas umfangreicheren Textes verbindet.

Die vorliegende vom RKW Kompetenzzentrum herausgegebene Veröffentlichung von Lena Patricia Lindenstruth beruht auf ihrer Masterarbeit, die 2015 im Rahmen des Studiengangs Wirtschaft, Psychologie & Management (M. Sc.) an der Universität Kassel angefertigt wurde. Sie entstand im engen Praxiskontakt mit einem großen, aber mittelständisch geprägten Unternehmen, während dieses eine Fachlaufbahn einführte.

Das Werk dokumentiert und wertet eine umfangreiche Quellenlage aus und bietet auch den an einer weiterführenden und vertieften Beschäftigung mit dem Thema interessierten Lesern – etwa Studierenden – eine gute Grundlage. Daher wurde das umfangreiche Quellenverzeichnis mit in die Veröffentlichung aufgenommen.

Nach den Erfahrungen und aus Sicht des RKW sind Fach-/Expertenlaufbahnen für mittelständische Unternehmen ein Zukunftsthema und stellen eine erhebliche personalwirtschaftliche Herausforderung dar, die das heutige Selbstverständnis von Organisation und Führung im Kern berührt.

Die Spatzen pfeiffen es bereits von den Dächern: Junge Leute kommen mit neuen Vorstellungen, Prioritäten und Erwartungen in die Unternehmen; mittelständische Unternehmen mit sehr spezifischem USP und entsprechend spezifischen Kompetenzanforderungen machen sich zunehmend Gedanken, wie sie die besonderen Fachkräfte, die sie dafür brauchen, entwickeln und binden; Führungskräfte haben sich, damit die Unternehmen erfolgreich sein können, auf wirkliche Führungsaufgaben zu konzentrieren; das (mittelstandstypische) Muster, nur gute Fachkräfte auf die Führungslaufbahn zu schicken und dabei dann oft eine gute Fachkraft zu verlieren und eine für Führungsaufgaben ungeeignete Führungskraft zu bekommen, wird zunehmend als unwirtschaftlich erkannt – aber was wäre eine Alternative? In immer mehr mittelständischen Unternehmen entstehen – mitunter nur informell geprägte – rudimentäre Laufbahnen für fachliche Schlüsselkräfte.

Die Herausforderungen, die in der Einführung einer formellen hierarchischen Laufbahn neben der Führungslaufbahn liegen, sind von den Personalabteilungen in mittelständischen Unternehmen allein nicht zu stemmen. Hier ist das Management, besonders die Geschäftsführung, gefordert. Der Investitionsbedarf ist erheblich – aber die Kosten für eine unterlassene oder nur halbherzig durchgeführte zweite Laufbahn können ebenfalls beträchtlich sein. Immer mehr Unternehmen werden abwägen müssen.

Im Kern geht es genau um diese Frage: Soll es in einem Unternehmen neben der Führungslaufbahn eine zweite formalisierte (hierarchische) Laufbahn geben, die Fachkräften definierter Bereiche eine ernstzunehmende Karriere – alternativ zum Führungsaufstieg – ermöglicht? Nicht jedes Unternehmen wird darum herumkommen, diese Frage (irgendwann) beantworten und eine Entscheidung treffen zu müssen.

Zum konkreten Prozess einer – strategisch begründeten – Einführung einer Fachlaufbahn in einem mittelständischen Unternehmen sagt diese Veröffentlichung nur wenig. Dafür hilft sie umso mehr durch den Dschungel der Begriffe, Laufbahnkonzepte und Gestaltungsoptionen und trägt so erheblich zur Orientierung bei. Die Unterstützung beim Einführungsprozess in mittelständischen Unternehmen ist dem RKW-Leitfaden „Fachlaufbahnen für mittelständische Unternehmen“ vorbehalten.

Thomas Hoffmann
RKW Kompetenzzentrum

1 Aus der Perspektive der betrieblichen Praxis sind die Unterschiede, die zwischen einer Fach- und einer Expertenlaufbahn bestehen mögen, nebensächlich. In beiden Fällen müssen jeweils aus unternehmensstrategischer Sicht Geltungsbereiche (Abteilungen, Jobfamilien, ein Personenkreis) einerseits und Stufungen andererseits festgelegt werden. Siehe 2.1 Abgrenzung von Experten- und Führungslaufbahnen für eine detaillierte Unterscheidung beider Begriffe.