Ziele von Expertenlaufbahnen

Das oberste Ziel, das Unternehmen mit der Implementierung von Expertenlaufbahnen verfolgen, ist es, herausragende fachliche Leistungen in unternehmensrelevanten Wissensbereichen zu fördern, aufrechtzuerhalten und diese fachliche Leistung zu belohnen (Domsch, 1994; Domsch & Ladwig, 2011; Friedli, 2008). Mithilfe von Expertenlaufbahnen sollen herausragende Experten eine Entwicklungsperspektive geboten bekommen, die ebenso attraktiv wie die Führungskarriere ist (Trost, 2014). Expertenlaufbahnen richten sich an solche Mitarbeiter, die exzellente Leistungen erbringen und das Potenzial besitzen, höherwertigere Aufgaben zu übernehmen; die jedoch nicht in Führungsfunktionen wechseln wollen, da sie inhaltlich im jeweiligen Fachgebiet weiterarbeiten möchten beziehungsweise nicht die Fähigkeiten zum Führen von Mitarbeitern vorweisen (Katz & Tushman, 1990; Katz, Tushman & Allen, 1995; von Rosenstiel, 2010). Um diesen Mitarbeitern, die maßgeblich zum Unternehmenserfolg beitragen, alternative Karrieremöglichkeiten aufzuzeigen, haben sich Expertenlaufbahnen in der Praxis durchgesetzt und als erfolgsbringend erwiesen (Moore & Davies, 1977). Expertenlaufbahnen sind als Instrument des organisationalen Karrieremanagements (OCM, siehe  3.4 Karrieremanagement) zu verstehen, mit dem, neben der Förderung und Belohnung fachlicher Leistungen von Mitarbeitern, unternehmerische Ziele verfolgt werden. Eines dieser Ziele ist die Bindung solcher Mitarbeiter, die fachliche Schlüsselpositionen im Unternehmen besetzen (Francke & Chmielarski, 2010; Trost, 2014). Durch das Angebot der alternativen Entwicklungsmöglichkeit zur Führungslaufbahn werden Mitarbeitern diversifizierte Karriereoptionen angeboten. Zusammen mit der Wertschätzung, die Spezialisten für die erbrachten fachlichen Leistungen entgegengebracht wird, kann die Fluktuation aufgrund von Demotivation bei diesen Spezialisten unterbinden (Domsch, 1994). Organisationale Karrieremanagementmaßnahmen liefern Unternehmen den Vorteil, dass Mitarbeiter weniger nach alternativen Arbeitgebern suchen, wenn ihnen attraktive Entwicklungsmöglichkeiten geboten werden (Katz & Allen, 1990).

Wenn durch Expertenlaufbahnen eine Fluktuation von Wissensträgern verhindert werden kann, so sind Expertenlaufbahnen gleichzeitig dem aktiven Wissensmanagement zuträglich und stellen eine Möglichkeit dar, dem Ruf nach einem gelebten Wissensmanagement nachzukommen (Diener, 2010; Lang, 2009; Saumermann, 2011). Mithilfe von Expertenlaufbahnen erfolgt eine systematische Förderung des spezifischen Humankapitals und gleichzeitig wird durch die Retention der Wissensträger verhindert, dass wertvolles Know-how verlorengeht (Joseph et al., 2012; Lang, 2009; Trost, 2014). Da es darauf ankommt, dass dieses Expertenwissen auch anderen Mitgliedern der Organisation zur Verfügung steht, müssen Wege gefunden werden, wie das Expertenwissen anderen zugänglich gemacht werden kann (siehe  5.7 Arbeits- & Aufgabengestaltung).

Ein weiteres Ziel, das Unternehmen mit der Etablierung von Expertenlaufbahnen verfolgen, ist die bestmögliche Platzierung von Mitarbeitern. Da Expertenlaufbahnen die Chance auf eine Karriere bieten, die ohne Beförderungen in Führungspositionen einhergeht, versuchen Unternehmen, Fehlbesetzungen von Führungspositionen zu umgehen. Es wird vermieden, dass Experten in Führungsfunktionen befördert werden, in denen sie ihre Fähigkeiten, im Sinne des Peter-Prinzips2, nicht voll entfalten können, wodurch das Dilemma umgangen wird, aus einem guten Experten eine schlechte Führungskraft zu machen (Baruch, 2004; Specht, Beckmann & Amelingmeyer, 2002; von Rosenstiel, 2010).

Des Weiteren gilt es, die externe und interne Arbeitgeberattraktivität mit Hilfe von Expertenlaufbahnen zu steigern. Die Attraktivität eines Arbeitgebers hat zum einen Auswirkungen auf potenzielle Bewerber, bei denen es darum geht, sie auf das Unternehmen aufmerksam zu machen, und zum anderen auf Mitarbeiter, die es an das Unternehmen zu binden gilt (Kirchgeorg & Müller, 2013; Schwaab, 2008). Für Unternehmen ist es deshalb maßgeblich, als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden, da es im „War for Talents“ auch für große Unternehmen eine Herausforderung ist, bei geeigneten Bewerbern in die engere Auswahl der zukünftigen Arbeitgeber zu gelangen, möglichst gute Bewerber zu rekrutieren und die Anziehungswirkung auf bereits gewonnene Mitarbeiter aufrechtzuerhalten (Baruch, 2006; Ewerlin, 2013; Kirchgeorg & Müller, 2013). Die Attraktivität von Unternehmen ist von zahlreichen Faktoren wie dem Branchenimage, dem Unternehmensimage, dem Produktimage sowie dem Standortimage beeinflusst (Schwaab, 2008; Reumschüssel & Brauner, 2011). Letztendlich ergibt sie sich aber daraus, ob das Unternehmen dazu in der Lage ist, die Bedürfnisse der (zukünftigen) Mitarbeiter zu befriedigen. Expertenlaufbahnen können als Maßnahme zur Befriedigung des Wachstumsbedürfnisses von Mitarbeitern angesehen werden (Kirchgeorg & Müller, 2013).

2 Das Peter-Prinzip (Peter & Hull, 1969) besagt, dass Menschen in Positionen befördert werden, bis zu dem Punkt, an dem sie unfähig sind, korrekt zu agieren. Das Peter-Prinzip wird auch als das Unfähigkeitsprinzip bezeichnet. Für eine Diskussion siehe Fairburn & Malcomson (2001); Lazear (2004).