Viele Unternehmen stehen vor der Herausforderung: Die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente – und mit ihnen Jahrzehnte an Fachwissen und praktischer Erfahrung im Betrieb. Der Druck, eine Nachfolge für eine freiwerdende Position zu finden, ist groß. Gerade wenn es um die Neubesetzung einer Schlüsselposition wie einer Führungsstelle geht, müssen dringend Lösungen her. Oft fehlt dann die Zeit für einen gründlichen Wissenstransfer von älteren und erfahrenen Beschäftigten auf ihre jüngeren Nachfolgerinnen und Nachfolger. Wichtiges betriebsspezifisches Know-how fällt „unter den Tisch“. Die hinterlassenen Wissenslücken beeinträchtigen später die Prozessqualität.
Zeit gewinnen für den Wissenstransfer
Das ams Osram-Werk in Schwabmünchen zeigt, wie es besser geht. Dort wurde eine Lösung für den Führungswechsel entwickelt, die Zeit für den Erfahrungsaustausch zwischen bisheriger und neuer Führungskraft lässt. Tatkräftige fachliche Unterstützung der neuen Führungskraft bei Bedarf ist dabei eingeschlossen. Insgesamt: ein gutes Beispiel für ein gelingendes und sozial sensibles Wissensmanagement.
Wissenstransfer als Schlüssel zur Prozesssicherheit
Bei ams Osram arbeiten rund 280 Beschäftigte. Hergestellt werden dort hochspezialisierte Vorerzeugnisse für LEDs und Leuchtmittel – zum Beispiel für Taschenlampen in Handys oder Scheinwerfer in Autos. Die Fertigung erfolgt flexibel und hoch digitalisiert, Stichwort „Smart Manufacturing“. Null Fehler bei immer komplexer werdenden Produkten stellen hohe Anforderungen an die Präzision und Prozessstabilität. Das Unternehmen setzt dabei auf gut geschulte Beschäftigte in altersgemischten Teams sowie auf leistungsfähige Organisations- und Führungsstrukturen. Dazu gehört ein gelingender Wissenstransfer bei Führungswechseln. Er ist von hoher Bedeutung für Kontinuität und Stabilität der Produktionsabläufe.
Ausgangslage – Wissensverlust beim Führungswechsel
Der Werkleiter, Herr Hild, berichtet, dass die Nachfolge beim Führungspersonal über einen langen Zeitraum konventionell verlief: Eine neue Führungskraft trat erst dann die Stelle an, als die bisherige in den Ruhestand wechselte. Bei den Übergaben konnte das Erfahrungswissen der ausscheidenden Person nur unzureichend abgerufen werden. Wichtige Fragen der Ablaufgestaltung, mögliche Störquellen und Lösungsmaßnahmen blieben ungeklärt: Sie warfen erst dann Probleme auf, als der alte Stelleninhaber bereits in Rente war. Für den Betrieb konnte dies zur Folge haben, dass man „komplett neu strukturiert hat“, betont Herr Hild. Das wollte man so nicht mehr hinnehmen. Also entwickelte man im Werk eine neue, klügere Lösung. Sie eröffnet große zeitliche Spielräume für sorgfältigen und systematischen Wissenstransfer. Und sie gibt dem jüngeren Nachfolger wie auch dem älteren Vorgänger gute berufliche Perspektiven.
Räume für den Wissenstransfer: Führungswechsel in der Fertigung
In der Mechanischen Fertigung stand die Nachfolge auf der Meisterposition an. Dieser Job beinhaltet die Leitung eines Schichtbetriebs und sei, so Herr Hild, ein „Job mit hohem Druck“. Die neue Lösung bestand aus zwei Komponenten:
- Der Führungswechsel in der Fertigung beinhaltete einen zeitlich ausgedehnten Übergabeprozess. Herr Hild berichtet, dass der ältere Meister – ausgestattet mit langjährigen Berufserfahrungen – seine Aufgaben nicht abrupt, sondern schrittweise an den Neuling übergab.
- Der Wechsel wurde mit einem Stellentausch verbunden: Die jüngere Führungskraft rückte auf die Meisterstelle. Im Gegenzug wechselte der vorherige Stelleninhaber auf die frühere Position seines Nachfolgers in der Instandhaltung: „Er koordinierte“, so Herr Hild, „die technische Störungsbeseitigung – und blieb zugleich Mentor für seinen Nachfolger“.
Der Übergabeprozess mitsamt der Qualifizierungs- und Einarbeitungszeiten für die beiden Personen dauerte, so Herr Hild ein Jahr.
Bedarfsgerechte Unterstützung des neuen Meisters
Für die Einarbeitung des neuen Meisters brachte das Mentoring große Vorteile. Der Wissenstransfer vom Vorgänger zum Nachfolger konnte bedarfsgerecht mit konkretem Problembezug erfolgen. Wie dies aussah, schildert Herr Hild mit den Worten: „Der Erfahrene hat einfach mitgeholfen. Er war nicht weg. Man konnte immer wieder zu ihm gehen, zum Beispiel, wenn es technisch schwierige Dinge gab, also, wenn der Nachfolger sagte: Ich komme da jetzt nicht weiter – kannst du noch mal drüber schauen?“. Der verlässliche Rückhalt bedeutete für den neuen Meister überdies eine Entlastung von Drucksituationen.
Die Ältere Führungskraft: Positionswechsel ohne Gesichtsverlust
Um Führungswechsel und Stellentausch erfolgreich zu gestalten, mussten die Veränderungen gründlich vorbereitet und organisatorisch flankiert werden. Das „Menschliche“ durfte vor allem im Umgang mit dem älteren Meister nicht unter den Tisch fallen: Der Wechsel von der Führungsstelle in die technische Sachbearbeitung erschien für den Älteren zunächst einmal nicht attraktiv. Hier musste, so Herr Hild, eine Lösung gefunden werden, die einen Gesichtsverlust oder gar Degradierung vermied. Der Verbleib in der alten Gehaltsgruppe hatte eine große Bedeutung für den Statuserhalt der ehemaligen Führungskraft. Die hohen fachlichen Anforderungen auf der Stelle in der technischen Instandhaltung untermauerten die hohe Eingruppierung. Sie erforderten freilich einige Anstrengungen zur Qualifizierung.
Wissenstransfer von Jung zu Alt: Der Ältere bleibt beruflich „am Ball“
Herr Hild macht deutlich, dass der ältere Meister für seine neue Stelle in der technischen Instandhaltung frühzeitig angelernt werden musste. Denn die Aufgaben dort sind fachlich anspruchsvoll. Sie erfordern den kompetenten Umgang mit technischen Dokumentationen und Daten in IT-Systemen. Im Hinblick auf Digitale Anwendungen musste und konnte die ältere Führungskraft neues Lernen, und zwar mit Unterstützung aus der Kollegenschaft. Jüngere digital affine Mitarbeitende standen ihrem älteren Kollegen mit Rat und Tat beiseite, als er sich mit den digitalen Anwendungen vertraut machte.
Reverse Mentoring: Wissenstransfer ist keine Einbahnstraße
Die umfangreichen Qualifizierungen zur Flankierung des Führungswechsels demonstrieren, dass das Leitbild des lebenslangen Lernens bei ams Osram eine hohe Praxisrelevanz hat. Es ist Bestandteil einer Kooperationskultur, bei der sich Alt und Jung wechselseitig unterstützen, sei es bei der Weitergabe von Prozesskenntnissen oder bei der Nutzung digitaler Anwendungen. Wissenstransfer findet beständig und in beide Richtungen statt, in Gestalt von Reverse Mentoring und mit ausgeprägtem Praxisbezug. Die Qualifizierungen sind in die Arbeitsprozesse eingebettet, so dass die lange Gesamtdauer der Übergabe keine allzu hohen Ausfallzeiten für die beteiligten Personen mit sich bringt.
Die Regelung des Führungswechsels – ein Gewinn für alle Beteiligten
Die neue Nachfolgeregelung in der Mechanischen Fertigung stärkt die Prozesssicherheit, sorgt für stabilere Abläufe und setzt ein Signal für eine alternsgerechte Personalpolitik. Beschäftigte und Unternehmen profitieren dabei in mehrfacher Hinsicht:
- Die Ältere, abgelöste Führungskraft sichert ihren Status durch eine fachlich anspruchsvolle neue Aufgabe und eine wichtige Mentorrolle für den Nachfolger. Ein weiterer Pluspunkt: Die neue Aufgabe ist komplex aber ohne den Zeitdruck und den Stress der operativen Führungsarbeit. Die Lösung ist somit gesund und altersgerecht für Beschäftigte in höherem Erwerbsalter.
- Die neue Führungskraft erhält berufliche Entwicklungsmöglichkeiten und profitiert beim Einstieg vom Wissenstransfer und der Rückendeckung des Vorgängers – Grundlage für souveränes Handeln in einer verantwortungsvollen Position.
- Das Unternehmen gewinnt Prozessstabilität und steigert die Arbeitgeberattraktivität. Interne Aufstiegsmöglichkeiten für Mitarbeitende signalisieren gute Karriereperspektiven.
Wissenstransfer gelungen – die Lösung soll weiterverbreitet werden
Herr Hild zieht ein dementsprechend positives Fazit: „Wir versuchen, solche Lösungen jetzt auch auf andere Bereiche zu übertragen.“ Eine systematische Personalplanung zur Vorbereitung der Nachfolgelösungen und Abstimmungsprozesse mit den Beteiligten setzen dafür den Rahmen. Wenn Führungswechsel mit Zeit, Wertschätzung und gegenseitigem Vertrauen gestaltet werden, profitieren alle – die Menschen, die Abläufe und das Unternehmen selbst.
Dieser Beitrag steht in Zusammenhang mit unserer Praxishilfe: „So gelingt eine gute Zusammenarbeit der Generationen“. Hierzu haben wir zwei weitere Veröffentlichungen:
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Möchten Sie mehr darüber erfahren, wie eine gute Zusammenarbeit der Generationen gelingt?
In der Praxishilfe finden Sie Ergebnisse unserer Unternehmensbefragung über die Zusammenarbeit der Generationen. Es geht dabei um Erfahrungen von Betrieben mit jüngeren und älteren Beschäftigten sowie um Möglichkeiten, für ein gutes Miteinander zu sorgen. Darüber hinaus erhalten Sie Tipps für eine generationengerechte Arbeitsgestaltung, lebensphasenorientierte Personalpolitik und praxisbezogenes Lernen im Job.
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