3. Schritt: Öffnen und Hinterfragen

Der dritte Schritt markiert den Übergang vom Gestern hin zum Morgen. Er ist derjenige, den wir am flexibelsten und in einer weiten Bandbreite an möglichen Vorgehensweisen erlebt haben. Mitunter war er wenig ergiebig, weil die Zukunft nach der Bestandsanalyse bereits (implizit) entschieden war. Er kann jedoch auch intensive Kontroversen oder Konflikte bereithalten. Wir beginnen diesen Schritt meist mit einem Blick zurück: Welche strategischen Herausforderungen lässt die Bestandsaufnahme erkennen? Anschließend führen wir häufig eine einfache Trendanalyse durch, bevor Optionen entwickelt und getestet werden. Dies kann einen iterativen Prozess bedeuten, bei dem Optionen entwickelt und getestet werden, neue (womöglich geschärfte) Optionen ins Spiel kommen und wiederum getestet werden. Womöglich sind zwischenzeitlich Sachinformationen einzuholen. Auch wenn wir es uns im Rahmen dieses Workbooks einfach machen und den Prozess vergleichsweise linear abbilden, ist hier alles erlaubt, was Möglichkeiten für die Weiterentwicklung des Geschäfts prägnant werden lässt und Konflikte darüber, wohin die Reise gehen soll.

Strategische Herausforderungen (Beispiel)

Kaum ein Strategieprozess im Lehrbuch kommt ohne diesen Schritt aus, indem die bisherige Reflektion verdichtet wird auf die wesentlichen strategischen Herausforderungen. Die gilt es im Folgenden zu adressieren, weil sie sozusagen den Such- und Möglichkeitsraum aufspannen für ein tragfähiges Geschäftsmodell von morgen. Auch wir arbeiten häufig damit. Die Vorteile bestehen (zum einen) darin, dass man sich darauf einigt, woran sich die Entwicklung möglicher Optionen messen lassen muss, sowie (zum anderen) in einer Verdichtung der bisherigen Arbeit. Die folgende Vorgehensweise ist weniger ein Tool, als vielmehr ein möglicher Ablauf, den wir in diese Form bringen. Wir gestalten den Ablauf häufig so:

  • Wir bitten den Führungskreis, sich in Gruppen von zwei bis drei Teilnehmern zusammenzufinden und sich wenigstens 30 Minuten ungestört Zeit zu nehmen, um die Bestandsaufnahme auf sich wirken zu lassen. In der Regel werden bereits im Prozess automatisch wesentliche strategische Herausforderungen offenkundig, die wir laufend aufnehmen und die an dieser Stelle einen wichtigen Ausgangs- und Bezugspunkt bilden.
  • Alle Gruppen bekommen den Auftrag, ihre Beobachtungen auf einem Flipchart festzuhalten. Dabei laden wir ausdrücklich zu Visualisierungen ein. Außerdem soll das Chart die aus ihrer Sicht wichtigsten Herausforderungen für die Zukunft des Unternehmens enthalten. Dabei bitten wir die Teilnehmer darum, die strategischen Herausforderungen möglichst als Spannungsverhältnisse darzustellen und nennen ein paar Beispiele (siehe folgende Abbildung). Während dieser Arbeitsphase tun wir dasselbe.
  • Anschließend stellt jede Gruppe (einschließlich uns) ihr Chart vor und diskutiert es mit den übrigen Teilnehmern. Falls notwendig verdichten wir die Diskussionsergebnisse auf einem separaten Flipchart.

Trendanalyse: Alte Welt, neue Welt (Beispiel)

Auch dieses Vorgehen ist stark an die Arbeiten von Roman Stöger angelehnt. Wir haben die Arbeit mit diesem Tool immer als flüssig und intuitiv verstehbar erlebt. Der Entscheiderkreis richtet seine Aufmerksamkeit auf die wahrgenommenen, ins Haus stehenden Veränderungen und einigt sich darauf, auf welche Veränderungen er reagieren möchte. Wir schlagen diesen Ablauf vor:

  • Wir bitten die Teilnehmer um ihre Einschätzungen, wie sich die Spielregeln in der Umwelt des Unternehmens verändern und mit welchen (relevanten) Entwicklungen man rechnet. Dies funktioniert im Grunde immer ohne weitere Erläuterungen. Hin und wieder fällt der Blick ins Außen schwer, dann machen wir dies deutlich. Uns war bei der Verwendung immer wichtig, alle Eingaben der Teilnehmer gelten zu lassen und Diskussionen darüber zunächst aufzuschieben. Gleichwohl halten wir es für fruchtbar, unterschiedliche Annahmen und Szenarien als solche deutlich zu kennzeichnen.
  • Stellt sich eine Sättigung ein, reflektieren wir gemeinsam, ob womöglich weitere relevante Entwicklungen in folgenden Feldern zu berücksichtigen wären: Branche (Wettbewerber, Produkte, Lieferanten, Internationalisierungs-/ Globalisierungstendenzen und so weiter), Kunde/Markt (Marktentwicklung, veränderte Anforderungen, Entwicklungen in den Segmenten und so weiter), Technologien, gesetzliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, Personal (Arbeitsmarkt und Mitarbeiterstrukturen), Finanzmarkt.
  • Anschließend laden wir wiederum zu einer Metaperspektive ein: Wie wirkt das Chart als Ganzes? Finden sich Bilder, in denen sich die (vermuteten und antizipierten) Umweltveränderungen wiederfinden?
  • Die strategischen Herausforderungen aus der Bestandsaufnahme konfrontieren wir nun mit dem Ergebnis der Trendanalyse: Wir hinterfragen in diesem Zusammenhang gemeinsam mit den Teilnehmern, welche strategischen Herausforderungen angesichts der erwarteten Veränderungen hinzukommen, wegfallen, an Bedeutung gewinnen, verlieren oder sich inhaltlich verändern.
  • Anschließend unterziehen wir die herausgearbeiteten strategischen Herausforderungen noch einer Priorisierung. Dies konkretisiert den Suchraum mitunter deutlich.

Optionen ausarbeiten mit dem Geschäftsmodell-Cockpit (Beispiel)

Unsere Erfahrung zum Thema Optionen sind zweigeteilt: So gibt es Unternehmen, die bereits viele Ideen für die zukünftige Marschrichtung haben. Bei anderen steht bereits eine klare Option fest. Im Umkehrschluss haben wir bis dato kein Unternehmen begleitet, in dem es notwendig oder fruchtbar erschienen wäre, als Prozessbegleiter weitere Optionen ins Spiel zu bringen. Was wir aber einbringen ist ein möglicher Ablauf für die Ausarbeitung von Optionen:

  • In einem ersten Schritt sammeln wir formlos auf einem Flipchart alle Optionen, die sinnvollerweise in Frage kommen. Hier ist weder „alles ist erlaubt“, noch Zensur angesagt. Wir schlagen vielmehr einen durch die strategischen Herausforderungen definierten Möglichkeitsraum vor, in dem alles erlaubt ist, was nach dem gemeinen Menschenverstand möglich erscheint. Wir sprechen uns an dieser Stelle nicht explizit für oder gegen den Einsatz von (bestimmten) Kreativitätstechniken aus. Allerdings zeigt die Erfahrung bisher, dass eine gezielte Auseinandersetzung während der Bestandsaufnahme und eine ausreichende „Inkubationszeit“ in deren Nachgang meist auch ohne größeres Zutun eher zu viele als zu wenige belastbare Optionen zur Sprache bringen.
  • Im Folgenden arbeiten wir eine Option nach der anderen aus und beginnen mit einem „Titel“ für die erste Option.
  • Danach verwenden wir ein leeres Geschäftsmodell-Cockpit (beispielsweise auf einer Moderationswand), das gemeinsam befüllt wird. Vielfach beginnen wir, indem wir jeden Teilnehmer darum bitten, die beiden wichtigsten Aspekte auf einer Karte oder einem Klebezettel zu notieren und kurz zu erläutern.
  • Anschließend fahren wir im Plenum fort, meist von einem Feld des Geschäftsmodell-Cockpits zum nächsten.
  • Sobald eine gewisse Sättigung einsetzt, schauen wir auf das Gesamtbild und diskutieren Zusammenhänge sowie unterschiedliche Auffassungen zur Ausgestaltung dieser Option. Lassen sich letztere nicht auflösen, markieren wir sie als solche. Mitunter entstehen an diesen Widersprüchen neue Optionen oder es ergeben sich Hinweise auf fehlende Sachinformationen. In dieser Weise fahren wir fort, diskutieren, interpretieren, ergänzen oder sortieren neu, bis ein konsistentes, gemeinsames Bild entsteht.
  • Diesen Ablauf wiederholen wir für alle Optionen.

Optionen verteidigen (Beispiel)

Der gesamte Prozess läuft auf eine Entscheidung für eine bestimmte wünschenswerte Zukunft hinaus. Kein Verfahren ist in der Lage, die Entscheidung zwischen gleichwertigen Alternativen gewissermaßen auszurechnen, allerdings ist es meist hilfreich, die ausgearbeiteten Optionen prägnanter werden zu lassen. Dafür und besonders für den Fall, dass stillschweigender Widerstand gegenüber einer oder mehreren Optionen nach der Entscheidung erwartet wird, kann die folgende Anwendung für weitergehende Klarheit sorgen. Dieser Ablauf hat sich für uns bewährt:

  • Zunächst werden die bestehenden Optionen den jeweiligen Unterstützern zugeordnet. Bei unentschlossenen Teilnehmern lassen wir die Zuordnung offen und achten darauf, dass die entstehenden Gruppen, welche die unterschiedlichen Optionen unterstützen, vergleichbar groß sind.
  • In der Regel verteilen wir die Hausaufgabe, dass die Unterstützter sich auf die Verteidigung ihrer Option und die Opposition ihre Kritikpunkte vorbereiten.
  • Nach der Vorbereitung stellt jedes Team seine Option gegebenenfalls noch einmal vor, die übrigen Teilnehmer äußern ihre Bedenken und Kritikpunkte einschließlich einer knappen Erläuterung. Die entsprechenden Punkte werden festgehalten.
  • Nun formulieren wir alle genannten Kritikpunkte in Bedingungen nach dem Strickmuster: „Diese Option kann ich nur unterstützen, wenn xy zutrifft/klar ist“ (etwa, dass der bestehende Kundenstamm auf die Features a und b wirklich verzichten kann, dass wir die zusätzlichen Maschinen in unseren bestehenden Flächen tatsächlich unterbringen, dass wir einen verteidigungsfähigen Marktanteil von z erreichen können). Erfolgskritisch ist hier die richtige „Flughöhe“ zu halten. Es kommt an dieser Stelle weniger auf Vollständigkeit und Detailgenauigkeit als vielmehr auf Prägnanz an. Ziel ist nicht die Vorbereitung einer Maßnahmenliste sondern die wesentlichen Bedenken und zentralen Risiken auf den Punkt und aufs Tableau zu bringen.
  • Wir bringen die Bedingungen in eine Reihenfolge, die für die Teilnehmer schlüssig ist. In die Priorisierung fließen Wahrscheinlichkeit und Folgenschwere des Eintritts einer dieser Bedingungen und die Bedeutung für den Erfolg der Option ein.
  • Wir sammeln zu klärende Fragen und verabreden, wer sich bis wann um die Klärung welcher Frage kümmert. Sind Fragen nicht einfach durch Einholen von Sachinformationen zu klären, bieten sich Tests an, die zumindest Indizien für deren Beantwortung liefern (beispielsweise einfache Kundenbefragungen oder Testkäufe bei Konkurrenten). Im Ergebnis ist das Risiko einschätzbarer geworden oder zumindest als potenzielles Risiko markiert, was es im nächsten Schritt deutlich erleichtert, Optionen gegeneinander abzuwägen.