Die Einschätzung der Gründungschancen in den 33 einkommensstarken Ländern 2019

Die Gründungsaktivität eines Individuums wird nicht nur von den in Kapitel 2 und 3 diskutierten demografischen Faktoren wie Alter, Bildungsstand oder Geschlecht beeinflusst, sondern auch von personenspezifischen Gründungseinstellungen und -kompetenzen. Sie beeinflussen, zusätzlich zu Determinanten des räumlichen und sozioökonomischen Kontextes, ebenfalls die individuelle Gründungsneigung sowie die tatsächliche Umsetzung einer möglicherweise vorhandenen Gründungsabsicht. In dem GEM-Fragenkatalog werden seit vielen Jahren drei wichtige dieser Variablen berücksichtigt: Die Angst, mit einer möglichen Gründung zu scheitern (und deshalb gar nicht erst zu gründen), die individuelle Einschätzung der Gründungschancen während der nächsten sechs Monate sowie die Beurteilung der eigenen Gründungsfähigkeiten.

2019 hätten in Deutschland 37 % der Befragten aus Angst vor dem Scheitern eine Gründung eher unterlassen. Umgekehrt und nach Geschlecht differenziert: Bei 63 % der Deutschen (68 % der Männer, aber nur 57 % der Frauen) wäre dies kein Grund, von einer Gründung abzusehen. Deutschland belegt damit Platz 7 in der Rangliste der 33 einkommensstarken Staaten, von denen Südkorea und Norwegen an der Spitze stehen.

Nimmt eine Person die Gründungschancen als günstig wahr, kann dies bei vorhandenem Gründungswunsch die Ängste vor einem möglichen Scheitern kompensieren, sodass es trotzdem zu einer Gründung kommt. Die Wahrnehmung war in Deutschland in den letzten Jahren tendenziell optimistischer geworden. Im Jahre 2019 sehen 52,2 % der Befragten „gute“ Gründungschancen (vgl. Abbildung 11). Dies bedeutet Platz 15 unter den einkommensstarken GEM-Ländern. Der Anteil der Befragten, die gute Gründungschancen sehen, differiert in Deutschland zwischen Männern (56 %) und Frauen (48 %).

Wichtig ist hier Folgendes: Der Wert für 2019 ist nicht mit den früheren Jahren der scheinbar selben Variable vergleichbar, da seit 2019 eine Fünfer-Likert-Skala zum (im Wording mit den früheren Jahren identischen) Statement „In den nächsten sechs Monaten ergeben sich in der Region, in der Sie leben, gute Möglichkeiten für eine Unternehmensgründung“ als Antwort vorgegeben wird. Diese Fünferskala reicht von „stimme voll zu“ über „stimme zu“, „stimme weder zu noch nicht zu“ und „stimme nicht zu“ bis zu „stimme überhaupt nicht zu“. „Gute“ Gründungschancen in Abbildung 11 bedeutet, dass die Befragten eine der beiden positiven Bewertungen („stimme voll zu“ oder „stimme zu“) genannt haben, deren Anteil dann als Prozentwert aller Bewertungen ermittelt wird, nachdem die mittlere (neutrale) Kategorie eliminiert wurde. Diese Fünfer-LikertSkala kommt auch bei der Frage zur Angst als Gründungshemmnis sowie zur eigenen Einschätzung der Gründungskompetenz zur Anwendung. Ergo sind auch deren 2019er-Werte nicht mit jenen der Vorjahre vergleichbar.

Eine optimistische Wahrnehmung der Gründungschancen und des Risikos zu scheitern würde bei den meisten rational Handelnden dann trotzdem nicht zu einer Gründung führen, wenn diese Person meint, nicht über die notwendigen Gründungsfähigkeiten und -erfahrungen zu verfügen. Auch hier bestimmt die Wahrnehmung, nicht der Realitätsgehalt dieser Wahrnehmung, das Handeln.

2019 stimmten in Deutschland 46 % der befragten 18–64-Jährigen der Aussage, sie besäßen ausreichende Fähigkeiten und Erfahrungen zur Umsetzung einer Gründung, „zu“ oder „voll zu“ (Rang 27 unter den 33 Referenzstaaten). Auch bezüglich der Wahrnehmung der eigenen Gründungsfähigkeiten existieren auffällige Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Männer sind statistisch signifikant häufiger als Frauen der Überzeugung, die notwendigen Fähigkeiten und Erfahrungen zu besitzen (54 % vs. 37 %). Vergleicht man die Länderreihenfolge bei den drei beschriebenen Einstellungsvariablen für das Jahr 2019 mit jener der TEA-Quote (siehe Abbildung 1), dann zeigt sich, dass die gründungsstärksten Staaten nur selten auch zu den führenden Ländern mit der vergleichsweise geringen Angst vor Scheitern, der optimistischsten Bevölkerung (bzgl. Gründungschancen) und der, der Selbsteinschätzung nach, gründungskompetentesten Bevölkerung zählen. Es gibt demnach noch viele andere Faktoren, die die nationalen Gründungsquoten beeinflussen.