Die Stärken und Schwächen des Gründungsstandortes Deutschland

Wie erfolgreich der Weg in die berufliche Selbstständigkeit verläuft und wie viele Personen sich in einem Land oder einer Region für diese Karriereoption entscheiden, hängt unter anderem von den sogenannten „gründungsbezogenen Rahmenbedingungen“ ab. In allen GEM-Ländern werden insgesamt zwölf gründungsbezogene Rahmenbedingungen analysiert. Dazu zählen politische, ökonomische, soziale und kulturelle Kontextfaktoren, die bei positiver Ausprägung Unternehmensgründungen in ihrer Quantität und Qualität begünstigen können. Im GEM Länderbericht Deutschland 2019/20 werden darüber hinaus acht weitere gründungsbezogene Rahmenbedingungen betrachtet, wie etwa die für Gründungen durch Frauen.

Die gründungsbezogenen Rahmenbedingungen werden nachfolgend getrennt voneinander dargestellt, um jeweils eine detaillierte Analyse und Aufschlüsselung all ihrer unterschiedlichen Aspekte zu ermöglichen. Die Faktoren entfalten in der Praxis ihre Wirkung jedoch immer im wechselseitigen Zusammenspiel miteinander.

Die hier vorgestellten Ergebnisse basieren auf der Bewertung der Rahmenbedingungen und ihrer Ausprägungen durch deutsche Gründungsexpertinnen und -experten im National Expert Survey (NES) des aktuellen Länderberichts. Zu diesem Kreis zählen beispielsweise Personen aus Hochschulen und Universitäten, Bundesund Landesministerien, Technologieund Gründungszentren, Gründungsinkubatoren, Wirtschaftsförderungen, Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern sowie Banken. Pro GEM-Land müssen beim NES mindestens 36 Expertinnen und Experten befragt werden. In Deutschland haben sich 2019 insgesamt 66 Expertinnen und Experten an der Befragung beteiligt.

In Abbildung 17 sind die betrachteten gründungsbezogenen Rahmenbedingungen für den Gründungsstandort Deutschland sortiert nach ihrer Bewertung durch die Expertinnen und Experten dargestellt. Dabei sind die Faktoren umso besser bewertet, je weiter sie in der Reihenfolge oben stehen. Je weiter die Faktoren in der Listung unten stehen, umso schlechter ist, nach Ansicht der Befragten, die betreffende Rahmenbedingung in Deutschland ausgeprägt. Die beiden im GEM Länderbericht Deutschland 2019/20 untersuchten Sonderthemen, die Rahmenbedingungen für die Unternehmensnachfolge und die Gründungs- und Innovationskompetenz, sind in der Abbildung farblich gesondert markiert und ausgewiesen.

Die Bewertungen basieren auf dem arithmetischen Mittelwert der Einstufungen von drei bis neun Aussagen zur jeweiligen Rahmenbedingung auf einer Skala von 0 (vollkommen falsch) bis 10 (vollkommen wahr). Die Länge der Balken gibt die positive oder negative Abweichung vom theoretischen Mittelwert (= 5) an.

Die gründungsbezogenen Rahmenbedingungen in Deutschland werden 2019 insgesamt etwas besser bewertet als in den Vorjahren. So lässt sich beispielsweise bei der Gründungskultur (gesellschaftliche Werte und Normen) ein gewisser Fortschritt verzeichnen. Dies ist wichtig hervorzuheben, denn die hier analysierten Aspekte wie eine positive Wahrnehmung von innovativen Technologien, die Bereitschaft, Risiken zu tragen und die Fähigkeit im Umgang mit Fehlern sind wesentliche Eigenschaften für die Entfaltung einer dynamischen Gründerszene.

Auch bei der schulischen Gründungsausbildung – die zwar nach wie vor als Rahmenbedingung mit dem größten Handlungsbedarf eingestuft wird – hat sich die Bewertung im Vergleich zu den Vorjahren deutlich verbessert. Gleichfalls deutet auch die Bewertung der Gründungsausbildung an Universitäten und in der beruflichen Bildung (außerschulische Gründungsausbildung) auf eine positive Entwicklung hin. Dies bestätigt den seit 2015 beobachteten Trend, dass beide Bildungsbereiche von Jahr zu Jahr in Bezug auf ihre gründungsunterstützende Wirkung positiver abschneiden und Entrepreneurship Education einen gewissen Stellenwert in der deutschen Bildungslandschaft erreicht hat. Es wird hier spannend zu beobachten sein, inwieweit sich derzeitige Maßnahmen, wie etwa die Einführung des Schulfaches Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung in Baden-Württemberg und ein vergleichbarer Ansatz in Nordrhein-Westfalen auf die Einschätzung und Entwicklung der Rahmenbedingungen auswirken.

Insgesamt werden der Schutz des geistigen Eigentums (ausführliche Beschreibung in Kapitel 6.2.3), die Wertschätzung und Offenheit der deutschen Konsumentinnen und Konsumenten gegenüber neuen Produkt- und Dienstleistungsangeboten von Gründenden sowie öffentliche Förderprogramme am besten bewertet.

Neben der schulischen Gründungsausbildung bewerten die Gründungsexpertinnen und -experten auch den Arbeitsmarkt als wenig förderlich für Gründungsaktivitäten in Deutschland. Die deutsche Wirtschaft ist 2019 bezogen auf das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt das zehnte Jahr in Folge gewachsen. Auch wenn 2019 das Wirtschaftswachstum geringer ausfiel als 2018 und 2017 (vgl. Statistisches Bundesamt 2020), erschwert die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt es Gründenden und Start-ups, qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen. Dies liegt auch daran, dass die hohen Gehälter für Fachkräfte von jungen und wachsenden Unternehmen nur schwer aufgebracht werden können. Dadurch besteht die Gefahr, dass neue Unternehmen insbesondere in Zukunftsbranchen ausgebremst werden, weil für sie nach Einschätzung der GEM-Expertinnen und -Experten unter anderem die Anwerbung von Personen mit IT-Kompetenzen besonders schwierig ist.

Seit der Veröffentlichung des GEM-Länderberichtes Deutschland 2017/18 werden die Bewertungen der gründungsbezogenen Rahmenbedingungen in Deutschland in der Gesamtübersicht zusätzlich in Prozentwerten dargestellt – siehe Abbildung 18. Die Balken zeigen die Einstufungen der einzelnen Rahmenbedingungen durch die Gründungsexpertinnen und -experten auf einer Skala von 0 (vollkommen falsch) bis 10 (vollkommen wahr). Die Bewertungen wurden in fünf Kategorien zusammengefasst: negativ, eher negativ, teil-teils, eher positiv und positiv.

Es wird ersichtlich, dass die Gründungsexpertinnen und -experten sowohl die beste Bewertung (positiv) als auch die schlechteste Bewertung (negativ) verhältnismäßig selten verwenden. Für die Faktoren an der Spitze des Rankings besteht somit noch Verbesserungspotenzial, von der „eher positiven“ hin zur „positiven“ Bewertung. Andererseits ist darauf hinzuweisen, dass bei den in Deutschland am schlechtesten bewerteten gründungsbezogenen Rahmenbedingungen zumindest eine gewisse Basis vorhanden ist, die weiterentwickelt werden kann. Hier überwiegt die Kategorie „eher negativ“ im Vergleich zu „negativ“.