Szenario 5: Riskante Abwanderungen von Schlüsselkräften

1. Strategische Ausgangslage

Seit geraumer Zeit bewegt sich das Unternehmen mit 600 Mitarbeitern, das überwiegend die Automobilindustrie beliefert, in einem globalen Wachstumsmarkt. Die Geschäftsleitung strebt an, nicht nur mit dem Markt zu wachsen, sondern in einem Geschäftsfeld sogar seine Marktanteile zu erhöhen, und sich dort vom Teilelieferanten zum Anbieter komplexer Baugruppen weiterzuentwickeln.

Dieser Expansionskurs – Wachstum mit bekannten Produkten und gleichzeitig mit Innovationen in einem globalen Umfeld – veranlasst die Geschäftsführung, eine organisatorische Umstrukturierung anzudenken.

2. Zusammenhang mit den Personalressourcen des Unternehmens

Die Personalressource wird zum Engpassfaktor. Insbesondere weitere Fachkräfte in Konstruktion, Fertigung, Montage und Arbeitsvorbereitung werden benötigt. Personalwirtschaftliche Handlungsfelder wie Personalmarketing, -entwicklung und -bindung rücken in den Vordergrund. Hinzu kommt, dass einzelne Mitarbeiter aus den wettbewerbsrelevanten Jobfamilien (Konstrukteure, Produktionsplaner und Meister), also Schlüsselkräfte, das Unternehmen verlassen, u.a. deshalb, weil es ihrem Arbeitgeber bislang nicht gelingt, sich klar entweder als Massenfertiger von Einzelteilen in sehr großen Stückzahlen oder als Qualitätsanbieter (mit Schwerpunkt auf Fertigung und Montage komplexer Bauteile und Baugruppen) zu positionieren. Beides unter einen Hut zu bringen bzw. das eine noch nicht voll zu beherrschen, das andere nach wie vor aus wirtschaftlichen Gründen tun zu müssen, erzeugt bei den Mitarbeitern in der Produktion – aber nicht nur dort – hohen Stress und Unzufriedenheit. Der Weggang von Schlüsselkräften ist daher nachvollziehbar.

3. Optionen einer strategischen Vorsteuerung

Kurzfristig sieht die Geschäftsführung mehrere Ansatzpunkte zur Neu- bzw. Rückgewinnung wichtiger Know-how-Träger/Schlüsselkräfte:

  • Ausweitung der regionalen Personalrekrutierung auf ganz Deutschland und sogar europaweit
  • Verstärkte Aktivitäten im (Fach)Hochschul-Personal-Marketing, um Mitarbeiter für die vakanten und neu hinzukommenden Schlüsselpositionen des Unternehmens, besonders in Konstruktion, Produktionsplanung und Arbeitsvorbereitung zu gewinnen.
  • Maßnahmen zur Verbesserung der Mitarbeiterbindung und allgemein der Arbeitgeberattraktivität.

All dies erfordert Investitionen und zusätzliches Personal in der Personalabteilung.

4. Mitarbeiterinteressen und Perspektive des Betriebsrats

Für die Mitarbeiter, besonders in den relevanten Jobfamilien und bei den Schlüsselkräften in Produktion, Arbeitsvorbereitung und Konstruktion, stehen folgende Interessen (Bindungsfaktoren) im Vordergrund

  • Klare Orientierung darüber, wer ihr Arbeitgeber ist, ein Produzent von Massengütern oder ein Anbieter von Qualitätsprodukten?
  • Stressabbau durch eine funktionierende Ablauforganisation, besonders in der Produktion und in den produktionsnahen Bereichen.
  • Höhere und leistungsorientierte Bezahlung (Prämien/Bonussysteme etc.).
  • Kontinuierliche Anpassung der eigenen Qualifikation an gegenwärtige (und zukünftige) Herausforderungen.

Dem BR ist (genauso wie der Geschäftsführung) klar, dass personalbezogene Maßnahmen nur einen Teil der Probleme lösen. Sein Vorschlag enthält zwei Teile: Personalwirtschaftlich schlägt er die Einführung von flexibel gestuften Personalentwicklungswegen für alle Schlüsselkräfte und Angehörigen der wettbewerbsrelevanten Jobfamilien vor. Aufstiege auf diesen Wegen sollen mit finanziellen Zuwendungen gekoppelt werden. Für neu eingestellte Fachkräfte schlägt er Einarbeitungsprogramme vor, deren Absolvierung finanziell honoriert wird.

Parallel soll ein Strategieprozess durchgeführt werden, der in erster Linie die Position des Unternehmens „zwischen den Stühlen“ (als Qualitätsanbieter und Kostenführer) tabulos klärt und eine strategische Ausrichtung für das Unternehmen formuliert. Auf dieser Grundlage sollen Anpassungen der Unternehmensorganisation (ggf. Erhöhung der Anzahl der Geschäftsbereiche) erfolgen und schließlich der Bezug zu den resultierenden erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen des Unternehmens und den wichtigen Jobfamilien hergestellt werden.

Besonderer strategischer Fokus des Betriebsrats: Die Verbindung beider Ebenen, der personalwirtschaftlichen und der strategischen. Nur in dieser Kombination können die Mitarbeiterinteressen angemessen berücksichtigt werden.