Szenario 2: Fast sanierungsreif trotz Umsatzwachstum

1. Strategische Ausgangslage

Das Unternehmen mit ca. 300 Mitarbeitern und 60 Mio Jahresumsatz ist im einem Segment des Maschinenbaus erfolgreich tätig – wie das Management glaubt. Denn der Umsatz wächst jährlich um ca. drei bis vier Prozent, leicht unterhalb des Marktwachstums.

Der plötzliche Einbruch der Umsatzrendite kommt für das Management überraschend, zumal das Umsatzwachstum anhält. Ein Beratungsunternehmen bestätigt die positiven Markt- und Wachstumsaussichten und kommt sogar zu dem Ergebnis, dass ein noch höheres Umsatzwachstum – durchaus zwischen sechs und acht Prozent – möglich wäre.

Mit einem neuen Vertriebsleiter hofft man, diesem Ziel näher zu kommen und in der Folge auch auf eine wieder steigende Umsatzrendite. Diese Rechnung scheint aufzugehen, der Umsatz steigt tatsächlich – zunächst. Dann auf einmal zeigen sich Liquiditätsprobleme.

Der Grund liegt darin, dass die Maßnahmen ausschließlich an der Marktlogik orientiert waren und die Marktseite nicht mit der Kostenseite verknüpft wurde. Mit dem Umsatzwachstum war stets eine (zum Teil verdeckte) überproportionale Steigerung der Fertigungs- sowie der Einkaufskosten verknüpft, die beide zunehmend weniger über den Preis ausgeglichen werden konnten.

So geriet das Unternehmen bei wachsenden Umsätzen letztlich in die Illiquidität – zur Überraschung des Managements, das bislang die Augen vor gravierenden Problemen bei der Auftragsabwicklung verschlossen und den steigenden Einkaufsanteil am Umsatz ignoriert hatte, in der Annahme, das Umsatzwachstum werde schon alles richten.

2. Zusammenhang mit den Personalressourcen des Unternehmens

In einer Liquiditätskrise muss ein Unternehmen Kosten sparen – die Frage ist, wie und wo? Werden Kosteneinschnitte auch bei den wettbewerbsrelevanten Jobfamilien, dem heutigen und künftigen Erfolgspotenzial des Unternehmens, vorgenommen, oder hält man diese im Unternehmen mit Blick auf Chancen einer nachhaltige Sanierung und setzt die kurzfristigen Einsparprioritäten anderswo, z.B. beim Abbau von Verschwendungen, bei Prozessverbesserungen und bei Einsparungen im Einkauf?

3. Optionen einer strategischen Vorsteuerung

In der Geschäftsführung werden mehrere – z.T. alternative – Optionen diskutiert:

  • Sofortige betriebsbedingte Kündigungen (kurzfristiger Liquiditätsgewinn).
  • Konsequentes umfassendes Liquiditätsmanagement – inkl. eines Mitarbeiterkredites an das Unternehmen (einbehaltene Sonderzahlungen) – gegen das Versprechen, auf Kündigungen zu verzichten.
  • Klare Unterscheidung von unverzichtbaren (wettbewerbsrelevanten) sowie den übrigen Jobfamilien, verbundenen mit Maßnahmen, erstere auf jeden Fall im Unternehmen zu halten.
  • Durchleuchtung der Auftragsabwicklung mit dem Ziel ihrer radikalen Umgestaltung, um längerfristig das Auseinanderdriften von Umsatz und Rohertrag (Wertschöpfung) wieder in den Griff zu bekommen.
  • Einführung eines professionellen strategischen Einkaufsmanagements.

Diese Optionen haben unterschiedliche Reichweiten. Strategisch (weil existenziell) absolut vorrangig ist die kurzfristige Liquiditätssicherung. Eine Beschränkung auf Liquiditätsbeschaffung würde das Unternehmen jedoch nur von einem Liquiditätsengpass in den nächsten stolpern lassen, weil die Basis für Erfolge danach fehlt.

4. Mitarbeiterinteressen und Perspektive des Betriebsrats

Das primäre Interesse der Mitarbeiter sind langfristig sichere Arbeitsplätze. Der Betriebsrat muss sich also dafür einsetzen, dass prioritär die Liquiditätsprobleme angegangen werden. Aber genauso auch dafür, dass parallel strategische Entscheidungen über tiefgreifende Produktivitätsverbesserungen getroffen und sofort umgesetzt werden, damit diese nach der Krise greifen. Produktivitätsverbesserungen, die das Unternehmen nachhaltig retten, werden jedoch Arbeitsplätze kosten. Diese „Kröte“ müsste der BR schlucken.

Besonderer strategischer Fokus des Betriebsrats: Unterstützung einer wirkungsvollen (strategischen) Kombination von Liquiditätsmanagement und Produktivitätsverbesserungen, bei der die Mitarbeiter eingebunden werden (z.B. Mitarbeiterkredit, Vorrang von sonstigen Einsparungen gegenüber Personaleinsparungen).