Szenario 4: Einstieg in Industrie 4.0 mit Kompetenzrisiken

1. Strategische Ausgangslage

Ein Kunststoff verarbeitendes Unternehmen mit 550 Mitarbeitern produziert im Auftrag von Kunden komplexe Kunststoffteile. Die Aufträge sind meist individuell und werden mit jeweils speziellen Werkzeugen gefertigt. Ein Auftrag geht erst dann in Serie, wenn der Prototyp vom Kunden freigegeben ist.

Die Stärke des Unternehmens ist der eigene Werkzeug- und Formenbau mit sehr erfahrenen Facharbeitern (die sich ihres Wertes für das Unternehmen bewusst sind), der ihm einen erheblichen Wettbewerbsvorteil sichert. Bei den Einkäufern der Kundenbranchen ist das Unternehmen sehr bekannt und hat einen guten Ruf.

Der Produktionsleiter verfolgt seit einiger Zeit aufmerksam die Entwicklung der 3-D Fertigungsdrucktechnik. Er erkennt Chancen und auch Risiken für sein Unternehmen: Einerseits ließen sich Prototypen sowie sehr kleine Serien mittels 3-D-Druck kostengünstiger fertigen, andererseits könnten Wettbewerber das Unternehmen im Marktsegment „Kunststoffteile mit komplexen Geometrien in kleinen Serien“ verdrängen. Weitsichtig erkennt er, dass die 3-D-Druck-Technik in nicht allzu ferner Zukunft auch bei größeren Serien profitabel einsetzbar sein wird, so dass ein Einstieg in diese Technik bereits heute geboten erscheint. In einem strategischen Prozess entscheidet die Geschäftsführung, einen Geschäftsbereich „3-D Fertigungsdruck“ aufzubauen, der in spätestens drei Jahren profitabel arbeiten soll.

2. Zusammenhang mit den Personalressourcen des Unternehmens

Innerhalb der nächsten drei Jahre werden von dieser Entscheidung zunächst ca. 20 Prozent der Facharbeiter des Formenbaus betroffen sein – auf längere Sicht deutlich mehr. Zwischen ihren gewohnten Anforderungen, Kenntnissen und Erfahrungen einerseits und dem Anforderungsprofil der 3-D-Druck-Fertigungstechnik (Materialkenntnisse, Modelldesign, Fertigungsprozess, Maschinenhandling, Arbeitsvorbereitung etc.) liegen Welten. Die neuen Herausforderungen werden durch Umschulung der Facharbeiter kaum zu bewältigen sein. Zukauf neuer Kompetenzen über Neueinstellungen ist notwendig. Völlig offen ist, was aus den Facharbeitern des Formenbaus wird (die bislang für den zentralen Wettbewerbsvorteil des Unternehmens stehen), wenn der neue Geschäftsbereich „3-D-Fertigungsdruck“ etabliert ist. Und, mittelfristig gedacht, mit welchen Wettbewerbsvorteilen sich des Unternehmens positionieren kann, wenn seine Kernkompetenz, der konventionelle Formenbau, an Bedeutung verliert.

3. Optionen einer strategischen Vorsteuerung

Es werden folgende Optionen diskutiert:

  • Einstellung eines Fertigungsingenieurs sowie von zwei Maschinenbedienern mit Know-how in 3-D-Druck-Fertigungstechnik.
  • Entwicklung eines Umbesetzungs- und Umschulungsangebotes für (zunächst wenige) Facharbeiter im Formenbau.
  • In Einzelfällen Angebote für vorgezogenen Altersruhestand.
  • Untersuchung der Auswirkungen des neuen Geschäftsbereichs „3-D-Fertigungsdruck“ auf das gesamte Unternehmen (Produktion, Konstruktion/Entwicklung, Vertrieb, Einkauf, Arbeitsvorbereitung) durch ein Projektteam, bestehend aus den wichtigsten Bereichsleitern.
  • Entwicklung eines strategischen Konzeptes für den bevorstehenden Transformationsprozess (zukünftige Wettbewerbs- und Angebotsvorteile, Aufbau passender Ressourcen, Wissen, Personal, Konsequenzen für Organisation, Strukturen, Prozesse und Führung).

Da keine dieser Optionen allein zielführend sein kann, geht es darum, sie sinnvoll miteinander zu kombinieren.

4. Mitarbeiterinteressen und Perspektive des Betriebsrats

Die Mitarbeiter wollen im Unternehmen auf Dauer arbeiten und ihren Lebensunterhalt verdienen zu Bedingungen, die ihren sozialen Status nicht abwerten. Das setzt voraus, dass das Unternehmen seine gute Wettbewerbs- und Marktposition erhält. Der Betriebsrat kann sich daher nicht damit begnügen, lediglich für die Erhaltung des Besitzstandes der betroffenen Facharbeiter einzutreten.

Besonderer strategischer Fokus des Betriebsrats: Er wird sich für alle der fünf o.g. Optionen der Geschäftsleitung einsetzen und diese mitgestalten, besonders durch konkrete Maßnahmenvorschläge in der zweiten und dritten Option.