Die Einschätzung der individuellen Gründungsfähigkeiten in den einkommen- starken Ländern

Die Entscheidung eines Individuums zugunsten oder zuungunsten einer Unternehmensgründung ist das Resultat einer Vielzahl von Faktoren. Neben der im vorherigen Kapitel beschriebenen Wahrnehmung der Gründungschancen sowie der Angst vor dem Scheitern mit einer möglichen Gründung wird die individuelle Gründungsentscheidung auch von anderen personenbezogenen Merkmalen beeinflusst, als Teil eines komplexen Wirkungsgeflechts von persönlichen und kontextbezogenen Determinanten. Eine besonders wichtige Einflussgröße ist die Wahrnehmung der eigenen Gründungsfähigkeiten. Für die Gründungsentscheidung ist ausschlaggebend, wie die potentielle Gründerperson ihre Fähigkeiten einschätzt – nicht, ob sie sie korrekt einschätzt. 2018 meinten 38,3 % der 18–64-Jährigen in Deutschland, über ausreichende Fähigkeiten und Erfahrungen zur Umsetzung einer Gründung zu verfügen (Rang 26 unter den 31 Referenzstaaten, vgl. Abb. 10).

Ähnlich wie für die beiden anderen auf der vorherigen Seite genannten Gründungseinstellungsvariablen sind die Rangplätze Deutschlands unter den einkommensstarken Ländern verbesserungsfähig. Interessant ist der Zusammenhang zu einer anderen im GEM ebenfalls seit Langem berücksichtigten Variable: die persönliche Kenntnis einer anderen Gründerperson, die natürlich eine Vorbildfunktion einnehmen kann. Falls diese Gründerperson selbst erfolgreich war/ist, wird sich dies tendenziell auch positiv auf die eigene Gründungswahrscheinlichkeit des/der Bekannten auswirken. Entsprechendes gilt für eine nicht erfolgreiche Gründung (wie immer Erfolg auch definiert wird). Weitergehende Analysen unter Beteiligung von Wissenschaftlern des deutschen GEM-Teams und basierend auf GEM-Daten zeigen, dass derartige Vorbildfunktionen sehr wirkungsmächtig für die individuelle Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Schritts in die Selbstständigkeit sein können und zudem je nach sozialer Akzeptanz unternehmerischer Selbstständigkeit im regionalen Umfeld räumlich unterschiedlich wirken (vgl. Wyrwich/Sternberg/Stützer 2018). In Deutschland kannten 2018 21,3 % der Befragten eine andere Gründerperson persönlich, die innerhalb der letzten 12 Monate gegründet hat (Rang 27 unter den 31 einkommensstarken Ländern). Beispielsweise in Österreich (39,7 %) oder in Polen (40,1 %) ist der Prozentanteil statistisch signifikant höher. Unter den Befragten in Deutschland, die eine andere Gründerperson kennen, lag der Anteil der die eigene Gründungsfähigkeit positiv Einschätzenden bei 62,3 %, beim Rest, also bei Befragten ohne persönliche Kenntnis, waren es weniger als die Hälfte (30,6 %). Auch wenn diesem statistisch hochsignifikanten Zusammenhang noch kein kausaler entsprechen muss, dürfte die Kenntnis eines anderen Gründers zumindest zu einer realistischeren Einschätzung der eigenen Gründungsfähigkeiten beitragen. Die Korrektheit der Einschätzung dieser Fähigkeiten kann mittelfristig darüber (mitentscheiden, ob die Gründung erfolgreich ist.

Die Werte zur Einschätzung der eigenen Gründungsfähigkeiten haben sich für Deutschland über die Zeit durchaus verändert. Die Referenzwerte der Jahre 2003–2010 lagen ausnahmslos zwischen 40 % und 50 %. Anschließend sanken die Prozentwerte bis 2014 auf etwa 33 %. Seitdem ist ein leichter und kontinuierlicher, aber statistisch nicht signifikanter Anstieg um etwa fünf Prozentpunkte festzustellen.

Auch bei dieser Variable der wahrgenommenen Gründungskompetenz sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern (Männer: 44,7 % gehen vom Vorhandensein der individuell als notwendig erachteten Gründungsfähigkeiten aus, bei Frauen nur 31,6 %), nach dem höchsten formalen Bildungsabschluss (z. B. Hochschulabsolventen 52,3 %, Abitur nur 33,9 %) und den Altersgruppen (nur 21,3 % bei den 18–24-Jährigen, aber 45,5 % bei den 35–44-Jährigen) beträchtlich und über die Zeit im Wesentlichen stabil, was im Übrigen beides nicht für diesbezügliche Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland gilt.