Anhang: GEM 2017 – Konzept, Methodik, Daten

Die empirische Basis des GEM

Damit in gleicher Weise Gründungsaktivitäten und Einflussfaktoren auf Gründungen in den unterschiedlichen Ländern erfasst werden können, bedarf es eines international koordinierten Erhebungsdesigns. Da es für Gründungen sowie auch für die Einschätzung gründungsbezogener Rahmenbedingungen keine vergleichbaren Statistiken auf globaler Ebene gibt, die für die Ziele dieses Projektes herangezogen werden könnten, führt der GEM eigene Primärerhebungen in den teilnehmenden Ländern durch. Ein komparativer Vorteil gegenüber anderen Datenquellen für Gründungsaktivitäten besteht darin, dass solche standardisierten Erhebungen in allen Ländern stattfinden und im selben Zeitraum exakt dieselben Fragen an einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung sowie an systematisch ausgewählte Experten gerichtet werden. Die verschiedenen Erhebungen bzw. Datenquellen werden im Folgenden kurz dargestellt.

Bevölkerungsbefragung - APS

Für die Bevölkerungsbefragung des GEM, den Adult Population Survey, wird eine repräsentative Stichprobe der erwachsenen Bevölkerung (18 bis einschließ- lich 64 Jahre alt) gezogen. Aufgrund dieser Daten lässt sich ermitteln, wie hoch der Anteil der Personen in der Bevölkerung ist, die aktuell in die Gründung eines Unternehmens involviert sind, eine solche Gründung planen oder bereits durchgeführt haben. Darüber hinaus wird eine Fülle weiterer Daten erhoben, wie etwa die Einstellung der Bevölkerung gegenüber Unternehmern und Gründern, die Angst zu scheitern oder auch (zumindest in einigen Ländern) die Frage nach einem Migrationshintergrund.

Die in der Regel telefonische Befragung zufällig ausgewählter Haushalte und Befragungspersonen erfolgte im Jahr 2017 eng koordiniert und mit gleichem Fragebogen in 54 Volkswirtschaften. Insgesamt wurden weltweit 164.438 Personen befragt. Abweichend von der telefonischen Erhebungsmethode wurde der APS in einigen wenigen Ländern online durchgeführt. In seltenen Fällen erfolgten die Interviews persönlich (face-to-face), falls über Telefonate keine repräsentative Stichprobe gewährleistet werden konnte. Die vom GEM-Konsortium für jedes Land vorgegebene Mindestgröße der Stichprobe liegt bei 2.000 erfolgreich durchgeführten Interviews und die Methodik jedes Landes wird seitens des Global Teams auf Korrektheit und Konformität überprüft.

In Deutschland fand die jüngste Befragung in Form einer computergestützten telefonischen Primärbefragung vom 30. Mai bis zum 25 Juli 2017 statt. Die Durchführung erfolgte, im Auftrag des Instituts für Wirtschaftsund Kulturgeographie der Leibniz Universität Hannover, durch uz-Bonn. Insgesamt wurden 58.144 Haushalte kontaktiert (ohne neutrale drop-outs), in 4.881 Fällen konnte ein auswertbares Interview durchgeführt werden. Dies entspricht einem Ausschöpfungsgrad von 8,39%. 3.022 der 4881 Interviews (62%) wurden, als Ergänzung der Festnetztelefonate, über eine Mobilfunk-Stichprobe gezogen, um der unter Jüngeren deutlich geringeren Festnetzanteils gerecht zu werden. Die Verteilung der Interviews auf die Bundesländer ist proportional zur www.rkw-kompetenzzentrum.de 73 tatsächlichen Verteilung der Bevölkerung. Weitere Schichtungsvariablen sind das Haushaltseinkommen, das Geschlecht und das Lebensalter. Um die Reprä- sentativität der Stichprobe gewährleisten zu können, wurde zum einen für einen geringen Prozentsatz der Stichprobe eine „modified last birthday“-Methode genutzt und zum anderen wurden die erfassten Fälle, wie bei solchen Befragungen üblich, gewichtet (kombinierte Designund Nonresponse-Gewichtung).

Diese Erhebungen sind die Basis für diverse Maß- zahlen der Gründungsaktivität, von denen die drei wichtigsten vorgestellt werden. Die nur im GEM verfügbare Gründungsquote der Nascent Entrepreneurs (‚werdende Gründer‘) ist definiert als der Prozentanteil der 18bis 64-Jährigen, die

  • a) zum Zeitpunkt der Befragung versuchen, alleine oder mit Partner ein neues Unternehmen zu gründen (hierzu zählt jede Art selbstständiger Tätigkeit),
  • b) in den letzten zwölf Monaten etwas zur Unterstützung dieser Neugründung unternommen haben (z.B. durch die Suche nach Ausstattung oder Standorten, Organisation eines Gründerteams, Erarbeitung eines Geschäftsplans, Bereitstellung von Kapital),
  • c) die Inhaberoder Teilhaberschaft im Unternehmen anstreben und
  • d) während der letzten drei Monate keine Vollzeitlöhne oder -gehälter bezahlt haben.

Die Gründungsquote der Young Entrepreneurs (‚Gründer junger Unternehmen‘) ist definiert als der Prozentanteil der 18bis 64-Jährigen, die

  • a) Inhaber oder Teilhaber eines bereits bestehenden Unternehmens sind, bei dem sie in der Geschäftsleitung mithelfen und
  • b) aus diesem Unternehmen nicht länger als 3,5 Jahre Gehälter, Gewinne oder Sachleistungen erhalten haben.

Die Total early-stage Entrepreneurial Activity (TEA) stellt die Gesamtheit der beiden vorgenannten Personengruppen dar, aber nicht die Gesamtheit der Gründungen. Personen, die sowohl werdende Gründer als auch neue Gründer sind, werden nur einmal gezählt. Dies erklärt, warum die Quotensumme der Nascent Entrepreneurs und der Young Entrepreneurs größer ist als die TEA-Quote.

Im GEM werden auch etablierte Gründungen erfasst. Diese werden von Personen geführt, die schon seit mehr als 3,5 Jahren Gehälter, Gewinne oder Sachleistungen aus der Gründung zahlen bzw. erhalten, Inhaber oder Teilhaber sind und in der Geschäftsleitung aktiv sind.

Expertenbefragung - NES

Die zweite empirische Säule des GEM bildet die Befragung von Gründungsexperten. Dieser National Expert Survey (NES) ist eine in allen beteiligten GEM-Ländern in weitgehend gleicher Form durchgeführte schriftliche (online oder postalisch) und zum Teil auch persönliche Expertenbefragung. Der NES dient der Einschätzung gründungsbezogener Rahmenbedingungen in den jeweiligen Ländern. Rahmenbedingungen wie gesellschaftliche Werte und Normen, Arbeitsmarkt, öffentliche Förderprogramme oder auch Marktzugangsbarrieren haben als Kontextfaktoren direkten und indirekten Einfluss auf das Gründungsgeschehen eines Landes. Für den NES werden Personen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik interviewt, die sich intensiv mit dem Thema Unternehmensgründung auseinandersetzen und somit einen breiten Überblick über das Gründungsgeschehen im jeweiligen Land vorweisen können. Hierbei kommt ein standardisierter und in die jeweilige Landessprache übersetzter Expertenfragebogen zum Einsatz. Ausgewählt werden die teilnehmenden Experten nach einem in allen Ländern einheitlichen Schlüssel. Es werden in jedem Land mindestens 36 Experten befragt, von denen jeweils mehrere Personen Experten für eine der gründungsbezogenen Rahmenbedingungen sind. Insgesamt wurden 2017 in 54 Ländern 2.250 Experteninterviews geführt. In Deutschland beantworteten 57 Gründungsexperteninnen und -experten aus unterschiedlichen Regionen die Fragen. Dabei bewerteten die befragten Experten Einzelaussagen (statements) zu gründungsbezogenen Aspekten auf einer Skala von 1 (vollkommen falsch) bis 9 (vollkommen wahr). Jeweils zwei bis sechs dieser Einzelaussagen werden zu einer von 16 gründungsbezogenen Rahmenbedingungen zusammengefasst und über einen Indexwert quantifiziert. Der Indexwert für die jeweilige Rahmenbedingung wird über die Berechnung des arithmetischen Mittels durchgeführt, d.h. die Bewertungen der einzelnen Aussagen gehen gleichgewichtig in die Indizes ein.

Dass nicht alle Rahmenbedingungen für den Gründungsstandort Deutschland gleich relevant sind, ist eine plausible Annahme. Daher bewerten die befragten Experten zusätzlich jede Rahmenbedingung hinsichtlich ihrer gründungspolitischen Relevanz auf einer Skala von 1 (sehr gering) bis 5 (sehr hoch) und werden anschließend gebeten, unter den Rahmenbedingungen in Deutschland die drei schwerwiegendsten Gründungshemmnisse sowie die drei einflussreichsten Gunstfaktoren zu identifizieren.

Die international standardisierte Expertenbefragung erlaubt einen länderübergreifenden Vergleich der Bewertung gründungsbezogener Rahmenbedingungen. Die relative Positionierung des Gründungsstandortes Deutschland bei der jeweiligen Rahmenbedingung erfolgt durch die Differenz zwischen dem Indexwert Deutschlands und dem arithmetischen Mittel der übrigen Länder.

Kategorisierung der GEM-Länder

Die 54 in 2017 am GEM teilnehmenden Länder werden gemäß der Kategorisierung des World Economic Forums und basierend auf der Argumentation von Porter et al. (2002) in drei Gruppen unterteilt. Dies macht insbesondere deshalb Sinn, weil Gründungsaktivitäten in diesen drei Gruppen sehr unterschiedliche Funktionen besitzen. Mit anderen Worten: Dieselbe Gründungsquote hat in den verschiedenen Ländergruppen eine sehr unterschiedliche Bedeutung. Die erste Gruppe besteht aus Ländern mit geringer Wirtschaftskraft. Weil diese ihr Wachstum in erster Linie aus der Mobilisierung primärer Produktionsfaktoren beziehen (Land, Rohstoffvorkommen, gering qualifizierte Arbeitskräfte etc.), werden sie als „faktorbasierte Ökonomien“ bezeichnet. Zur zweiten Gruppe zählen Volkswirtschaften, die ihren Lebensstandard mit Hilfe ausländischer Direktinvestitionen (ADI) steigern konnten. Da weiteres Wachstum vor allem durch die Erhöhung der Effizienz erzielt wird, gelten diese Länder als „effizienzbasierte Ökonomien“. Die dazu benötigten Technologien müssen in der Regel importiert werden, da die Kapazitäten zur Generierung eigener Innovationen noch nicht hinreichend entwickelt sind. Der Übergang zu einer „innovationsbasierten Volkswirtschaft“, der dritten und letzten Gruppe, ist nach Ansicht von Porter et al. (2002) der schwierigste. Bereits in effizienzbasierten Ökonomien sind makroökonomische Stabilität sowie der garantierte Schutz von Privateigentum (des materiellen wie des geistigen) wichtige Bedingungen für die Attrahierung von ADI. Zusätzliches Merkmal innovationsbasierter Volkswirtschaften sind erkennbare Investitionstätigkeiten im Bereich Bildung, Forschung und Entwicklung, sowohl von staatlicher als auch von privater Seite. Deutschland gehört, wie alle OECD-Staaten, zur Gruppe der innovationsbasierten Volkswirtschaften. Von den 54 am GEM 2017 beteiligten Ländern zählen außer Deutschland 23 weitere Länder zu den innovationsbasierten Ökonomien.

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