Wie viel wird gegründet?

2.1 Total Early-stage Entrepreneurial Activity (TEA) aller GEM-Länder 2017

Die Gründungshäufigkeit differiert in den 54 im Jahr 2017 am GEM partizipierenden Ländern erheblich. Ganz offensichtlich hängen diese Unterschiede unter anderem mit dem ökonomischen Entwicklungsstand dieser Volkswirtschaften zusammen. Dies ist die wesentliche Ursache dafür, dass im GEM bei Ländervergleichen traditionell zwischen den auch vom World Economic Forum in seinen jährlichen Global Competitiveness Reports verwendeten Kategorien „faktorbasiert“, „effizienzbasiert“ sowie „innovationsbasiert“ unterschieden wird. Dieses Verfahren gewährleistet, dass tatsächlich (eher) vergleichbare Länder gegen- über gestellt werden. Daher bleibt diese Abbildung die einzige im vorliegenden Länderbericht, die sämtliche Länder aufführt (vgl. Abb. 1).

Der Vergleich zwischen den 24 innovationsbasierten Volkswirtschaften einerseits und den vier faktorbasierten und 26 effizienzbasierten Ländern andererseits zeigt zumindest zwei Unterschiede recht deutlich: Die Gründungsquoten in den innovationsbasierten Ländern sind im Mittel niedriger als in den beiden anderen Ländergruppen und die Disparitä- ten zwischen den innovationsbasierten Staaten sind geringer als zwischen den faktorbasierten sowie zwischen den effizienzbasierten Staaten. Dies ist ein weiterer Grund, um alle Analysen der Bevölkerungsbefragung im Anschluss an diese Seite auf die relativ homogene (ergo auch besser vergleichbare) Gruppe der innovationsbasierten Länder zu beschränken. In effizienzund insbesondere in faktorbasierten Ökonomien besitzt unternehmerische Selbstständigkeit eine andere ökonomische Bedeutung als in den meisten innovationsbasierten Staaten, zudem – und partiell damit verbunden – sind Gründungen aus der wirtschaftlichen Not heraus dort wesentlich häufiger.

Deutschland belegt unter den innovationsbasierten Ländern mit einer Gründungsquote von 5,3% lediglich den fünftletzten Rang, wobei die Unterschiede zu den vier danach platzierten Staaten Griechenland, Japan, Italien und Frankreich nicht auf dem 5%-Niveau statistisch signifikant sind. Letzteres ist allerdings der Fall bei allen vor Deutschland gerankten Ländern, wie Abbildung 1 deutlich zeigt. Die TEA-Quote ist in den meisten Ländern zweibis dreimal so hoch wie in Deutschland, in Estland und Kanada sogar etwa 3,5-mal so hoch.

Auffällig ist der große Rückstand Deutschlands gegen- über typischen Einwanderungsländern wie Kanada, USA, Israel oder Australien. Aber auch in europäischen Nachbarstaaten wie den Niederlanden, der Schweiz oder Luxemburg ist die TEA-Quote statistisch signifikant höher als in Deutschland.

Die TEA-Quote ist definiert als die Quotensumme des Anteils all jener 18-64-Jährigen des betreffenden Landes, die „werdende Gründer“ oder „Gründer junger Gründungen“ sind, bezogen auf die Gesamtheit der 18-64-Jährigen (vgl. Anhang). Für diese beiden Komponenten der TEA-Quote lassen sich auch separate Rankings erstellen. Die Rangplätze Deutschlands bei den beiden Komponenten der TEA-Quote unter den 24 innovationsbasierten Ländern unterscheiden sich (Rang 18 bei den „werdenden Gründern“ mit einer Quote von 3,37%; Rang 20 bei den „Gründern junger Gründungen“ mit einem Wert von 2,00%) allerdings nicht stark.
Insgesamt betrachtet verharrt der Anteil Gründer in Deutschland selbst verglichen mit anderen Industrieländern, in denen ebenfalls wenig gegründet wird, auf niedrigem Niveau.

Abb.1: Total Early-stage Entrepreneurial Activity (TEA) in den 54 GEM-Ländern

2.2 Die zeitliche Entwicklung der TEA-Quote in Deutschland 2001-2017

Seit 2011 ist die TEA-Gründungsquote in Deutschland zumindest auf dem 5%-Niveau statistisch konstant, auch wenn die Mittelwerte leicht schwanken. Die TEA-Quote war zwischen 2010 und 2011 statistisch signifikant angestiegen (von 4,2% auf 5,6%). Seitdem lag sie meist zwischen 5% und 6%. 2017 lässt sich ein leichter, aber nicht statistisch signifikanter Anstieg des Vorjahreswerts um 0,7 Prozentpunkte auf 5,28% konstatieren (vgl. Abb. 2). Das gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus, sollte jedoch nicht überbewertet werden. Zumindest kann aber nicht von einem langjährigen Tiefpunkt der Gründungshäufigkeiten gesprochen werden, wie dies für andere Indikatoren wie der absoluten Gründerzahl gemäß KfW-Gründungsmonitor offenbar der Fall ist (vgl. Metzger 2018).

Es wäre nichts Ungewöhnliches, wenn Gründungshäufigkeiten im selben Land über die Zeit gewissen Schwankungen, teils auch zyklischer Natur, unterlägen. Solche Schwankungen können beispielsweise die personenbezogenen Reaktionen auf konjunkturelle und/oder strukturelle Boomoder Krisenphasen der jeweiligen Volkswirtschaft darstellen. Die globale Wirtschaftsund Finanzkrise vor zehn Jahren hat etwa in vielen Ländern (nicht allerdings in Deutschland) deutliche Wirkungen auf die nationale TEA-Quote gehabt. Auch die seit mehreren Jahren andauernde Phase der geringen Arbeitslosigkeit in Deutschland, insbesondere unter gut Ausgebildeten, übt einen klaren Einfluss auf die hiesige Gründungsquote aus: Aufgrund der hohen Beschäftigungsquote in diesem Arbeitsmarktsegment sind die Opportunitätskosten einer Gründung für nur wenige abhängig Beschäftigte so niedrig, dass der Schritt in die unternehmerische Selbstständigkeit als ernsthafte Alternative zur abhängigen Beschäftigung wahrgenommen wird.

Die zeitliche Entwicklung der TEA-Quote in Deutschland zeigt seit 2001 im Wesentlichen drei Phasen. Zwischen 2001 und 2005 lagen die Quoten meist zwischen 5% und 6% und damit deutlich niedriger als zur Jahrtausendwende und dem New-Economy-Boom. Zwischen 2006 und 2010 sanken sie dann beträchtlich auf Werte um die 4%. Die jüngste Phase seit 2011 kennzeichnen um etwa 1-1,5 Prozentpunkte höhere TEA-Quoten.

In den mit Deutschland hinsichtlich der ökonomischen Rahmenbedingungen vergleichbaren 23 innovationsbasierten Volkswirtschaften sind sowohl ähnliche als auch abweichende Entwicklungen der TEA-Quote zu beobachten. Für die Mehrheit der innovationsbasierten Länder, auch der europäischen, gilt: Im Vergleich zu 2016 ist die TEA-Quote im Referenzjahr gesunken, oft in statistisch signifikantem Umfang. Dies gilt beispielsweise für Polen, Frankreich, Irland, die Niederlande und auch die USA. Aus dieser Warte betrachtet sollte die deutsche TEA-Quote nicht nur pessimistisch gesehen werden.

Die insgesamt moderaten Schwankungen der TEAQuote in Deutschland während der letzten sieben Jahre haben den – hinteren – Rangplatz innerhalb der innovationsbasierten Länder nicht grundlegend verändert, denn auch die Quoten der anderen Länder unterliegen den genannten Zyklen.

Mit 5,3% weist die TEA-Quote 2017 den höchsten Wert seit fünf Jahren auf.

Abb. 2:Die Entwicklung der TEA-Quote in Deutschland 2001-2017

2.3 Die zeitliche Entwicklung der Nascent Entrepreneurs („werdende Gründer“) in Deutschland 2004-2017

Die populärste Gründungsquote des GEM ist die Total early-stage Entrepreneurial Activity, kurz TEA-Quote. Sie umfasst zwei aufeinanderfolgende Phasen im Gründungsprozess (zur Definition der Gründungsquoten vgl. Anhang). Sogenannte Nascent Entrepreneurs („werdende Gründer“) beschäftigten sich zum Zeitpunkt der Erhebung im Frühjahr 2017 ernsthaft mit einer Gründung, hatten diese aber noch nicht vollzogen (und ein – ex ante unbekannt großer – Teil von ihnen wird auch später nicht gründen). Bei Gründern junger Unternehmen war dies zum Zeitpunkt der Erhebung bereits geschehen, und zwar maximal 3,5 Jahre zuvor. Diese Unterscheidung zwischen zwei Phasen im Gründungsprozess ist GEM-spezifisch und wird in allen an den Haushaltsbefragungen im Referenzjahr beteiligten Ländern in derselben Weise praktiziert. Obwohl nicht jede der zum Erhebungszeitpunkt als Nascent Entrepreneur eingeordnete Person später tatsächlich gründet, ist der Anteil der Nascent Entrepreneure an der Bevölkerung gleichwohl ein interessanter Frühindikator für spätere wirkliche Gründungsaktivitäten. Dieser Indikator stellt daher eine komparative Stärke des GEM dar, denn vergleichbare Maßzahlen der Gründungsaktivität gibt es in anderen Konzepten zur Erfassung der Gründungshäufigkeit von Nationen über einen hinreichend langen Zeitraum nicht.

Der Anteil der „werdenden Gründer“ an den 18-64-Jährigen in Deutschland liegt 2017 bei 3,37% und damit (allerdings nicht statistisch signifikant) über dem Referenzwert des Vorjahres (vgl. Abb. 3). Bezüglich dieses Indikators belegt Deutschland in diesem Jahr Rangplatz 19 unter den 24 innovationsbasierten Staaten (zum Vergleich 2016: Rang 24 unter 27 Staaten). Wie in den meisten GEM-Ländern ist auch in Deutschland die Nascent-Quote höher als die Quote der „Gründer junger Gründungen“, die 2017 bei 2,00% liegt.

Statistisch signifikant höhere Nascent-Quoten als Deutschland weisen z. B. Kanada (11,3%) und Puerto Rico (9,5%), aber auch europäische Staaten wie Estland (13,4%) und Luxemburg (6,7%) auf. Bei den meisten europäischen GEM-Ländern liegen die Nascent-Quoten auf dem Niveau des deutschen Wertes.

Im Zeitablauf entwickelte sich die Nascent-Quote ähnlich wie die TEA-Quote. Allerdings sind die Werte der Nascent-Quote etwas weniger sprunghaft als jene der TEA-Quote. Wie die Abbildung 3 zeigt, ist auch die Quote der „werdenden Gründer“ in Deutschland gegenüber dem Vorjahr leicht angestiegen und liegt nun auch statistisch signifikant über den Referenzwerten der Jahre der Wirtschafts- und Finanzkrise.

Der Beitrag beider Teilkomponenten zur TEA-Quote ist in Deutschland über die Zeit recht stabil: Knapp zwei Drittel der als TEA-Gründer identifizierten Personen gehören hierzulande zu den „werdenden Gründern“, der Rest entfällt auf Gründer eines maximal 3,5 Jahre alten Unternehmens.

Der Anteil der „werdenden Gründer“ in Deutschland ist 2017 gegenüber dem Vorjahr leicht angestiegen.

Abb. 3: Nascent Entrepreneurs („werdende Gründer“) in Deutschland 2004-2017

2.4 Geschäftsaufgaben: Wichtige Gründe und anschließendes Verhalten

Wie in den meisten Ländern überlebt auch in Deutschland nur ein kleiner Teil der Gründungen die ersten Jahre (vgl. Fritsch et al. 2006). Die Gründe dafür, dass ein Unternehmen nicht weitergeführt wird oder werden kann, sind vielfältig und können sowohl positiver (z. B. Verkauf) als auch negativer (z. B. Bankrott) Natur sein sowie vom räumlichen Kontext abhängen. Dabei sollte erwähnt werden, dass ein Scheitern nicht automatisch bedeutet, die Gründungspersonen oder das Team seien per se nicht für die berufliche Selbstständigkeit geeignet. Leider ist bei potenziellen Kapitalgebern diese Schlussfolgerung noch immer nicht unüblich. Natürlich kann es an unternehmerischen Unzulänglichkeiten gelegen haben. Allerdings können solche Fehler auch zu einem iterativen Lernprozess beitragen, der bei einer erneuten Gründung durch dieselbe Person zum Erfolg verhilft. Sicherlich gibt es auch Fälle, in denen von einem erneuten Versuch abgeraten werden muss. Es sollte jedoch davon abgesehen werden, sich zu Vorverurteilungen und Stigmatisierungen hinreißen zu lassen, ohne den Einzelfall genauer zu prüfen.

Abbildung 4 zeigt den prozentualen Anteil des jeweiligen wichtigsten Grundes für die Nicht-Fortführung einer Unternehmung innerhalb der letzten zwölf Monate. Rund ein Drittel der Unternehmungen wurde beendet, weil sie entweder nicht profitabel waren oder es anderweitige Finanzierungsengpässe gab. Warum es hierzu kommt, kann vielfältige Ursachen haben. Die Kompetenz der Gründungsperson kann (muss aber nicht) ausschlaggebend sein. Ursächlich können auch der falsche Standort, die Bewerbung des Produktes auf dem falschen Markt, die Unzuverlässigkeit der Zulieferer oder die unangemessene Beurteilung der mit dem Produkt erzielbaren Erträge sein. Simples Pech oder Zufall sind ebenfalls mögliche Gründe.

Ein Viertel nennt persönliche Gründe als Ursache der Geschäftsaufgabe. Hierzu kann auch gehören, dass sich eine Teamgründung zerstritten hat, also ein gemeinsames Gründungsvorhaben von mehreren Personen an interpersonellem Zwist zerbrochen ist, wozu viele Faktoren beitragen können, wie etwa unterschiedliche Wahrnehmungen bzgl. der Unternehmensvision, -ethik oder -ausrichtung, individuelle Machtansprüche oder nicht eindeutige Aufgabenverteilungen, um nur einige zu nennen. Ein nicht unerheblicher Teil der Gründer (12,4%) nannte als wichtigste Ursache, dass sie die Unternehmensgründung zugunsten einer abhängigen Beschäftigung verlassen haben. Bei der derzeitigen ausgezeichneten wirtschaftlichen Lage für Arbeitnehmer ist es wenig verwunderlich, dass sich Erwerbspersonen in eine weniger risikoreiche oder sogar besser vergütete abhängige Beschäftigung begeben.
Bemerkenswert ist, dass ein Viertel der Personen, die im letzten Jahr eine Unternehmung nicht weitergeführt haben, zum Zeitpunkt der Befragung wieder in einer Gründung involviert war, die der Umsetzung einer wahrgenommenen Gründungschance diente (vgl. Abb. 5). Weitere 5,5% versuchten sich aus Mangel an Erwerbsalternativen erneut in der beruflichen Selbstständigkeit.

Abb. 4: Wichtigster Grund für das Beenden der eigenen Unternehmung

Zahlen beziehen sich auf Gründer, die innerhalb des letzten Jahres (Zeitpunkt der Befragung: Juni/Juli 2017) eine Unternehmung in Deutschland verkauft, geschlossen, abgebrochen oder verlassen haben, die sie führten und besaßen.

Abb. 5: Gründungsaktivität, nachdem im letzten Jahr eine eigene Unternehmung nicht weitergeführt wurde (%)