Welche Beschäftigtengruppen sind von der Digitalisierung besonders betroffen, welche Anforderungen kommen auf sie zu, welche Probleme existieren und welche Chancen bietet die Digitalisierung?

Beck: Bei der Digitalisierung gibt es zwei Seiten der Medaille: Auf der einen Seite stehen die jüngeren Mitarbeiter, die gerade von den neuen Prozessen getrieben sind. Sie lernen diese Prozesse an den Universitäten oder Fachhochschulen kennen und können dann im Unternehmen zu einer entsprechenden Dynamik beitragen. Auf der anderen Seite stehen Mitarbeiter, die unsicher sind, was mit ihnen im Zuge des Transferprozesses geschehen wird. (…). Für uns als Gewerkschaft geht es darum, dass Führungskräfte, Beschäftigte aber auch Betriebsräte, gemeinsam abwägen, welche Möglichkeiten die Digitalisierung schon bietet, was im Interesse der Beschäftigten ist und was nicht. Dann kann die Digitalisierung gemeinsam sinnvoll umgesetzt und nach einem Weg gesucht werden, wie wir zu einer angemessenen Qualifizierung der Beschäftigten kommen.

Schmieg: Ein ganz wichtiger Teilaspekt für die Digitalisierung ist der analoge Prozess. Wer das Bauen nicht beherrscht, kann es auch nicht digitalisieren. Es sind die Mitarbeiter, die über Jahre und Jahrzehnte (…) im gewerblichen und Angestelltenbereich tätig sind, die das Bauen beherrschen und die Prozesse kennen, und die brauchen wir genauso wie die Jüngeren. Daher glaube ich, dass für alle Fragen der Aus- und Weiterbildung die Beteiligung von allen Mitarbeitern erforderlich sein wird, egal ob jung oder alt.
Digitalisierung fängt bei der Unternehmensleitung an. Eine Grundfrage des Baumittelstands ist: „Was kost‘s, was bringt‘s?“ Die Antwort darauf ist: „Enorm viel!“ Wir leiden seit geraumer Zeit darunter, den Bauprozess nicht wirklich im Griff zu haben, (…). Oft werden die Prozessabläufe im Vorfeld nicht umfassend berücksichtigt. Gerade hier wird uns die Digitalisierung und vor allem BIM helfen, damit wir die Prozesse im Griff haben (…) und endlich einmal weg davon kommen, erst am Ende der Baustelle zu schauen, was hat’s gebracht.

Reifgerste: Der ‚Erzfeind‘ der Baubranche ist in meinen Augen die Kommunikation. Wenn es uns gelingt, mit digitalen Werkzeugen oder Prozessen diesen ‚Erzfeind‘ in den Griff zu bekommen und uns da weiterzuentwickeln, was mit guten Tools möglich sein wird, dann schließe ich auch BIM als Planungs- und Kommunikationsmethode ein.
Zentrales Thema für unser Unternehmen ist die Kommunikation über Plattformen, sodass wir sowohl intern, als auch extern, zur eigenen Baustelle und mit Partnern besser, schneller und vor allem synchroner kommunizieren können. (…) wenn es uns gelänge, Planstände auf Baustellen wirklich synchron zu halten; das wäre so als würden wir tatsächlich, wie die Chinesen, zur dunklen Seite des Mondes fliegen.

Beck: Für mich stellen sich hier folgende Fragen: Wie gehen wir eigentlich die Digitalisierung mental an? Habe ich eine Unternehmenskultur geschaffen, in der Neuerungsprozesse stattfinden können? Bin ich bereit, Fehler in Kauf zu nehmen und daraus zu lernen, damit ich sie später nicht mehr wiederhole? Ich brauche also eine Fehlerkultur und muss bereit sein, die erforderliche Zeit für die Einführung der Digitalisierung zu investieren. (…).
Dort wo wir besonders auf die technischen Aspekte der Digitalisierung schauen, müssen wir uns zusätzlich der Frage widmen, mit welchem Kulturwandel im Unternehmen, aber auch in der Branche wir wirklich größere Schritte in Richtung digitaler Transformation einleiten können, die über kurzfristige Maßnahmen und reine Schaufensterpolitik hinausführen.

Helmus: Ein Kernproblem in der Bauwirtschaft ist die Trennung zwischen Planung und Ausführung. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, ein Auto zu bauen, das vorher von jemand anderem geplant wurde. Diese Idee gibt es nur in der Bauwirtschaft. Meiner Meinung nach sind die Architekten, speziell die Architektenkammern, ein wichtiger Schlüssel für den Erfolg der Digitalisierung. Denn auch der Erfolg der Methode BIM hängt von einer qualitativ hochwertigen Planung ab (…).
Aus Sicht der Arbeitnehmer haben wir das Problem der zunehmenden Transparenz. Durch die Arbeitszeiterfassung oder durch GPS (Global Positioning System) in den Fahrzeugen und Maschinen gibt es die Möglichkeit, Rückschlüsse auf die Leistungen der Mitarbeiter zu ziehen. In diesem Zusammenhang ist es besonders wichtig, (…) dass es einen entsprechenden Datenschutz gibt (…).
Aber die Digitalisierung bietet vor allem unglaubliche Möglichkeiten. Zum Beispiel werden wir durch die Steigerung der Produktivität mehr Arbeitszufriedenheit und eine höhere wirtschaftliche Sicherheit in den Unternehmen erzielen. Davon profitieren auch die Arbeitnehmer. Im Bereich des Arbeitsschutzes gibt es durch die Digitalisierung viel Verbesserungspotenzial. Zudem kann dem Thema Fachkräftemangel mit der Digitalisierung effektiver begegnet werden. Etwa durch die Einbindung von Beschäftigtengruppen, die wir bisher in der Bauwirtschaft kaum im Blickfeld haben, beispielsweise die Frauen. Die Einführung von lebensphasenorientierter Teilzeitarbeit oder kollaborativen Modellen bietet sich zum Beispiel an, um gerade diesen Beschäftigtengruppen eine bessere Work-Life-Balance, auch auf den Baustellen, anbieten zu können und sie stärker in die Bauwirtschaft zu integrieren.