Zum 25jährigen Jubiläum des RKW-Arbeitskreises "Gesundheit im Betrieb" begrüßten die Trägerorganisationen der Fachveranstaltung "Gesund arbeiten - am Puls der Zeit" 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Auf großes Interesse stieß die Keynote von Prof. Dr. Nico Dragano, Medizinsoziologe am Universitätsklinikum Düsseldorf, der sich mit den unerwünschten Begleiterscheinungen ("Technostress") digitaler Arbeit auseinandersetzte.
Digitale Nebenwirkungen
Technostress wurde laut Professor Dragano bereits in einer 1984 erschienen Studie von Craig Brod (Human Cost of The Computer Revolution) thematisiert. Dieser "Stress" stellt sich beim Arbeiten mit Computern ein und kann Erscheinungen wie Nervosität, Schlafstörungen oder depressive Zustände hervorrufen kann. Seit 2005 hat sich die Forschung zu diesem Thema intensiviert, was sich nicht zuletzt in zahlreichen Publikationen niederschlägt. Denn was in den 1980er Jahren noch die Ausnahme war, ist inzwischen längst die Regel: Digitale Technik ist allgegenwärtig und aus dem Berufsleben nicht mehr wegzudenken.
... und ihre Auslöser
Welche Aspekte digitaler Technologie tragen zu den Belastungen bei? Prof. Dragano machte unter anderem auf folgende durch Studien belegte "Creators" aufmerksam:
- techno overload: Als Beispiel wurde die weithin bekannte E-Mail-Flut genannt und der damit häufig einhergehende Druck zur umgehenden Bearbeitung bzw. Beantwortung.
- techno complexity: Eine Überforderung des Einzelnen könne aufgrund nicht durchschaubarer Prozesse und Kommunikationsvorgänge entstehen, wie sie im Zuge von Industrie 4.0-Lösungen möglich werden.
- techno unreliability: Sie bezeichne die sehr häufig beobachtbare "chronische Unzuverlässigkeit" von Systemen, die die Nutzenden verunsichert und mit dem Einsatz der Technologie verbundene Versprechen nicht einlöst.
- techno invasion als negative Folge des Einsatzes immer und überall verfügbarer mobiler digitaler Systeme: Fehlende Regenerationszeiten, Work-life-Balance-Konflikte, entgrenzte Arbeit oder soziale Isolation könnten ernstzunehmende Belastungen darstellen.
Es sei zu erwarten, dass die Belastungen im Zuge der unter Corona notwendig gewordenen Maßnahmen noch zunehmen. Der Forscher wies in diesem Zusammenhang auf die SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregeln des BMAS hin, die allerdings auch immer unter Berücksichtigung der möglichen Wechselwirkungen (geringes Infektionsrisiko vs. Isolationsfolgen) strategisch eingebunden werden sollten.
Ansätze zur Gesundheitsförderung
Viele Forschungen befassten sich derzeit, so Prof. Dragano, mit möglichen Ansätzen für eine gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit und Technik. Nützlich seien zum Beispiel explizite betriebliche Regeln zum Umgang mit der Technologie. So habe eine Studie signifikant geringere Belastungen ergeben, wenn Mails nur zu bestimmten Zeiten abgerufen würden. Auch ein zuverlässiger IT-Support spiele eine wichtige Rolle, um Stress zu reduzieren. Weiterbildungskonzepte, transparente Kommunikation und nicht zuletzt eine nutzerorientierte Gestaltung von Hard- und Software sah Prof. Dragano als vielversprechende Voraussetzungen für gesunde Arbeit an. Unter anderem sollten digitale Systeme die Möglichkeit der Skalierbarkeit bieten und sich zum Beispiel auf unterschiedliche Nutzerkreise einstellen (lassen) können.
Der Wissenschaftler empfahl dringend, die möglichen Risiken ernst zu nehmen und die Verankerung von betrieblichen Präventionsmaßnahmen auch auf strategischer Ebene.
In den nachfolgenden Workshops der Veranstaltung wurden viele der in der Keynote genannten Themen aufgegriffen und vertieft. Eine ausführliche Dokumentation der Veranstaltung wird in Kürze auf der Website des RKW-Arbeitskreises "Gesundheit im Betrieb" verfügbar sein.
Ein Interview vom 11. November mit Prof. Dragano im Deutschlandfunk finden sie unter "Sendung vom 11.11.20" hier.
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