Hemmende Faktoren bei der Umsetzung von Suchtprävention – auf betrieblicher Ebene

Hemmende Faktoren bei der Umsetzung von Suchtprävention – auf betrieblicher Ebene

Insbesondere kleine Unternehmen handeln bei akutem Problemdruck und nicht präventiv strategisch. Da die akute Betroffenheit (durch einen erkrankten Beschäftigten) in kleinen Unternehmen seltener auftritt als in großen, ist dort der Handlungsdruck geringer und Suchtprävention kommt nicht auf die Agenda.

  • So gaben im Durchschnitt nur etwa 20 Prozent der befragten Unternehmen an, dass es im Betrieb schon Auffälligkeiten im Zusammenhang mit Suchtmitteln gegeben habe, das heißt der unmittelbar erlebte Problemdruck ist im Durchschnitt gering.
  • Der fehlende subjektive Problemdruck bei Unternehmern / Führungskräften führt dazu, dass etwa die Hälfte der befragten Betriebe beider Branchen meint, dass Suchtmittelmissbrauch kein Thema bzw. der eigene Betrieb für Präventionsmaßnahmen zu klein sei. Kostengründe benennen knapp 30 Prozent der Unternehmen als Hürde. Allgemein wird bei dem Thema Suchtprävention im Betrieb keinen Handlungsbedarf gesehen.
  • Betrachtet man die Gründe für das Einführen der Suchtprävention so steht an erster Stelle das Bemühen "Rückfälle zu vermeiden". Auf einer Skala von "1 = spielte keine Rolle" bis "5 = spielte die größte Rolle" erreicht dieser Aspekt den Durchschnittswert 4.

In kleinen Unternehmen gibt es zudem keinen Handlungs- oder Umsetzungsdruck durch Betriebsräte, da diese in der Regel nicht vorhanden sind. Von der Seite der Beschäftigten gibt es hier nur sehr selten Impulse für Maßnahmen der betrieblichen Suchtprävention.

  • Die Beschäftigten selbst können und wollen diese Einflussmöglichkeiten der Betriebsräte nicht kompensieren. Das Interesse der befragten Beschäftigten an der Einführung suchtpräventiven Maßnahmen ist gering. Die Mehrheit der befragten Mitarbeiter (57 Prozent) sieht keine Probleme in ihren jeweiligen Unternehmen, die suchtpräventive Maßnahmen erfordern würden. Insgesamt äußern sich die Mitarbeiter etwas offener gegenüber betrieblicher Suchtprävention als die Unternehmer, es überwiegt aber das Desinteresse. Es ist nicht zu erwarten, dass Beschäftigte „Druck von unten“ für eine betriebliche Suchtprävention aufbauen.
  • Der Expertenkreis bestätigte dieses Ergebnis und sieht es als wichtige Fragestellung an, wie man Beschäftigte in kleinen Betrieben für Prävention motivieren und aktivieren kann.

Das Präventionspotenzial des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes wird in KKU nicht ausgeschöpft. Denn man findet hier i.d.R. keinen organisatorisch differenzierten betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz und oft auch keinen Betriebsarzt, der als Informations- und Beratungsanbieter fungieren könnte.

  • Als potenzielle Unterstützer bei Fragen der Suchtprävention sehen die Betriebe (siehe Kapitel "Unternehmensbefragung") an erster Stelle Ärzte, Betriebsärzte bzw. betriebsärztliche Dienstleister, zudem Berufsgenossenschaften oder Krankenkassen, vereinzelt auch die Innung bzw. Kammer, Fachstellen für Suchtprävention oder die Polizei an. Allerdings haben auf diese Frage lediglich 12 Unternehmen geantwortet, wodurch die Ergebnisse mit Vorsicht zu behandeln sind. In früheren Studien zum Beratungsbedarf von kleinen und mittleren Unternehmen in Bezug auf Arbeits- und Gesundheitsschutz (vgl. Hübner et al. 2010) stellten wir insbesondere in kleinen Unternehmen eine sehr geringe betriebliche Präsenz von Betriebsärzten fest. In der Regel werden diese, wenn überhaupt, mit einem minimalen Einsatzumfang für Pflichtuntersuchungen beauftragt. Faktisch werden das Beratungsangebot und die Fachkompetenz der Arbeitsmedizin also von den Unternehmen nicht abgefragt.
  • Auch für die Beschäftigten in KKU sind Betriebsärzte kein prioritärer Ansprechpartner.
  • Die Mitarbeiter konnten sich im Fragebogen (vgl. Anlage B) äußern woher sie sich Informationen zu den Themen Gesundheit, Arbeitsschutz oder Suchtprävention beschaffen. An erster Stelle wird hier das Internet genannt, gefolgt von der Krankenkasse, der Tagespresse und den Kollegen. Offizielle Anlaufstellen wie der Betriebsarzt oder der Betriebsrat werden dahingegen weniger kontaktiert. Ein möglicher Grund für die Vernachlässigung der offiziellen Anlaufstellen innerhalb des Unternehmens könnte sein, dass nur 39 Prozent der befragten Mitarbeiter den Betriebsarzt ihres Unternehmens überhaupt kennen.
  • Im Expertenkreis wurde das Präventionspotenzial der Betriebsärzte anerkannt und Wege erörtert, dieses besser zu erschließen. Betriebsärzte haben von den Arbeitgebern in der Regel keinen Auftrag zur Suchtprävention, d.h. sie können nur Anregungen geben und müssen gegenüber ihrem Auftraggeber diplomatisch sein. Ein "Einstiegsweg" für die betriebsärztliche Suchtprävention kann die Betonung der Haftung der Unternehmer für unterlassene Unterweisungen oder Anweisungen zum Umgang mit Suchtmitteln sein (gesetzlich regulative Argumentation).
  • In der Abschlussveranstaltung wurde von Verbands- und Kammerakteuren darauf hingewiesen, dass es für KKU insbesondere in ländlichen Regionen schwierig ist, qualifizierte Arbeitsmediziner zu gewinnen (geringes Auftragsvolumen ist für Anbieter nicht attraktiv).
  • Die Beratungspotenziale von Krankenkassen und Unfallversicherungsträgern werden von den Unternehmen anerkannt, deren personelle Ressourcen sind jedoch sehr gering. Diese Institutionen engagieren sich durchaus in der betrieblichen Suchtprävention, dies wurde im Expertenkreis sehr deutlich dargestellt. Allerdings können sie eine flächendeckende Betreuung und Beratung von Klein- und Kleinbetrieben nicht realisieren.

Für alle Unternehmen gilt: Sucht ist ein Thema, das kein Handlungsinteresse auslöst. Sowohl von der Unternehmungsleitung als auch von Beschäftigten(vertretern) wird eine verstärkte Suchtprävention mehrheitlich abgelehnt.

  • Die Mehrheit der befragten Mitarbeiter spricht sich gegen eine verstärkte Suchtprävention in ihren Betrieben aus. Auf einer Skala von 1 („nein, ist nicht nötig) bis 5 („ja, auf jeden Fall) fallen die meisten Stimme auf die 1 (24 Prozent) und die 2 (28 Prozent). Mit zehn Prozent sprechen sich die wenigsten Mitarbeiter dafür aus "auf jeden Fall" eine verstärkte Suchtprävention haben zu wollen.
  • Eine große Mehrheit der Unternehmen reagiert auf die Frage, ob das Thema Suchtprävention in ihrem Betrieb stärker aufgegriffen werden sollte als bislang, ablehnend und erkennt keinen Handlungsbedarf erkennt (79 Prozent im Metallbereich – 86 Prozent im Handel).
  • Der Expertenkreis vertrat die Ansicht, dass Sucht oft ein betriebliches Tabuthema darstellt und nicht aufgegriffen wird. Die Gründe sind vielfältig:

    • Der eigene Umgang mit Suchtmitteln wird nicht gerne reflektiert und verdrängt.
    • Die Einführung von Suchtprävention könnte als Hinweis auf ein drängendes aktuelles Suchtproblem im Betrieb gedeutet werden.
    • Für Unternehmer / Führungskräfte in KKU ist die Thematisierung von Sucht besonders schwierig. In KKU haben Führungskräfte bzw. der Firmeninhaber gegenüber den Beschäftigten oft eine Rollenkonfusion, die Klärungsgespräche erschwert. Der Inhaber ist gleichzeitig Führungskraft, Fachkollege oder sogar Nachbar / Freund. Es ist für die Beteiligten dann manchmal unklar, ob das Gespräch disziplinarische Folgen haben oder ein Fürsorgegespräch darstellen soll. Der Unternehmer kann derartige Gespräche nicht wie in größeren Unternehmen an Personalverantwortliche delegieren. Für diese Gesprächssituationen benötigen KKU spezielle Handlungshilfen.
    • Betriebliche Suchtprävention kann von den Beschäftigten als reglementierend und als Eingriff in die Privatsphäre bewertet werden.
    • Der Verweis an eine Sucht- oder Drogenberatungsstelle durch die Führungskraft ist vor dem Hintergrund der Beziehungskonfusion in KKU, einer möglichen Grenzüberschreitung (wer darf ein Urteil fällen, ob ein Suchtproblem besteht) und des „negativen“ Images von Sucht(-Beratung) problematisch.

Hinzu kommen bei kleinen Unternehmen Informationsdefizite über geeignete betriebliche Verfahren und Handlungsmöglichkeiten, fehlende interne Fachkompetenz sowie Zeit- und Kostendruck (vgl. auch die Studie von Hübner et al. 2010).

  • Die Experten wiesen in diesem Zusammenhang drauf hin, dass standardisierte und erprobte Interventionsprogramme wie der Stufenplan, die sich in größeren Betrieben bewährt haben, in KKU größen- und strukturbedingt "nicht greifen". Hier müssen pragmatische und verbindliche Kommunikations- und Regelungskonzepte entwickelt und erprobt werden.