Greenwashing ade! Nachhaltigkeit endlich messbar?

Die seit Juni 2020 veröffentlichte Taxonomieverordnung für Finanzmarktteilnehmende in der Europäischen Union hat bereits zum sozialen Umdenken und somit Agieren verschiedenster Branchen geführt. Nachhaltigkeitsthemen dominieren die Medien und schaffen eine berechtigte Erwartungshaltung. Einige Unternehmen haben sich bereits durch sogenanntes „Greenwashing“ zu Unrecht in ein positives Licht gerückt. Tatsächliche Maßnahmen oder Nachhaltigkeitsstrategien existieren in diesen Fällen, wenn überhaupt, nur auf Papier. Durch die Taxonomieverordnung werden Nachhaltigkeitsaspekte endlich messbar. Das Übersetzen von der Theorie in die Praxis funktioniert bereits heute schon, zeigt aber auch deutlich die Verbesserungspotenziale auf, die sich in unseren Prozessen niederspiegeln müssen.

Wie tangiert die Taxonomieverordnung für Finanzmarktteilnehmende die Baubranche?

Zurecht stellt sich die Frage, wieso ein kleiner Handwerksbetrieb, der über ausreichend finanzielle Mittel verfügt und auf Kredite gut verzichten kann, sich dem Thema widmen sollte. Die Antwort ist relativ simpel und greift in der Wertschöpfungskette der Baubranche schon gleich am Anfang an. Es ist davon auszugehen, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Immobilien deutlich steigen wird. Finanzinstitute haben aufgrund der Offenlegungspflicht ein Interesse daran, ihre Geldströme nachhaltig auszurichten. Dies beeinflusst die Kreditvergabe an Investoren und Bauherrschaften. Aufgrund der vorherrschenden Anforderungen werden sich die Vorgaben in den Ausschreibungen wandeln und letztendlich die Vergaben an Betriebe und Unternehmen richten, die diese erfüllen können. Auch ist anzunehmen, dass es die Betriebe besonders schwer haben werden, welche grundsätzlich darauf angewiesen sind mit nicht nachhaltigen Produkten zu arbeiten. Dazu zählen beispielsweise unzählige Brandschutzprodukte, die oft aufgrund ihrer Funktionen und Eigenschaften als nicht oder schwerentflammbar, mit umweltschädlichen Chemikalien versetzt sind.

Ein weiterer nicht unwichtiger Punkt kann die Geldanlagestrategie der Betriebe und Unternehmen aus der Baubranche sein. Wohin werden gute Gewinne angelegt? Auch hier gibt es zunehmend mehr „grüne Finanzprodukte“, wie beispielsweise grüne Bundeswertpapiere.

Herausforderungen und Strategien für kleine und mittelständische Unternehmen

Die wohl größte Herausforderung ist das Wissen über die Immobilie, also die Daten. Eine Bewertung kann nur dann stattfinden, wenn diese vorliegen. Während im Neubau diese Informationen gut organisiert werden können, ist eine taxonomiegerechte Bewertung der Immobilien im Bestand meist nicht oder gar schwer möglich. Das eigene Geschäftsmodell sollte unter Nachhaltigkeitsaspekten neu bewertet werden. Wenn digitale Gebäudedaten verlangt werden, wie und wo sind diese organisiert? Gibt es nutzungsrechtliche Einschränkungen? Wie wird ein Soll-Ist Abgleich sichergestellt? Welche alternativen Bauprodukte sollte man kennen und bereithalten? Gibt es Abhängigkeiten zu bestimmten Lieferantinnen und Lieferanten oder Bauproduktherstellenden? Wie ist die technische Produktqualität, der Lebenszyklus, die Recyclingmöglichkeiten? Wie sind die Prozessqualitäten, also die Herstellung, Lieferwege, Ein- und Ausbauprozesse? Die Antworten zu diesen wichtigen Fragen sind idealerweise Bestandteil in Ihrem Geschäftsmodell. Unterstützung für Ihre Geschäftsmodellentwicklung und die damit verbundenen Prozesse finden Sie auch unter: Ideen sind ein guter Anfang – Geschäftsmodellentwicklung im Baumittelstand sowie BIM Kurzinfo – Geschäftsmodelle.

Machen Sie sich mit dem Themenbereich „sustainable finance“ vertraut und beobachten Sie die Veränderungen Ihrer mitbewerbenden, zuliefernden sowie die auftraggebenden Seiten. Dies können zum Beispiel neue Informationsdatenblätter der Bauproduktherstellenden sein, welche um Informationen zu Nachhaltigkeit des Produktes ergänzt werden. Letztendlich müssen Ihre Prozesse zur Erfassung und Auswertung der Daten effizient sein.

Erst mal nichts tun, und warten?

Das kostet doch alles Geld! Wer soll diesen Mehraufwand bezahlen? Ja, diese Frage ist berechtigt. Genauso berechtigt ist die kritische Gegenfrage, wieviel Gewinn der letzten Jahrzehnte gehen auf Kosten des nachsichtigen Umgangs mit der Natur? Erfreulicherweise gibt es auch sehr viele Unternehmen, die schon seit Jahren die Nachhaltigkeit in der Unternehmensphilosophie verankert haben und gewissenhaft mit der Umwelt umgehen. Aktuell greifbare Sanktionen für Betriebe und Unternehmen der Baubranche scheint es aus der Taxonomieverordnung aufgrund eines fehlenden Zeitplans nicht zu geben. Zu bedenken ist jedoch, dass wenn die Motivation und die damit einhergehende Bereitschaft zur nachhaltigen Veränderung nicht durch den freien Markt erfolgt, dann werden mit hoher Wahrscheinlichkeit politische Instrumente zum Einsatz kommen. Dies kann sich beispielsweise in einer CO2-Besteuerung für Unternehmen äußern. Bevor es jedoch soweit kommt, hat die gesamte Wertschöpfungskette die Chance, das zu kommunizieren, was diese können, wollen und auch brauchen, um ein zukunftsweisendes Signal Richtung Politik zu senden. Warten soll und darf nicht die Strategie unserer Zeit sein. Befindet sich die Baubranche doch in einem großen Umbruch und kann jetzt noch besser denn je die Chancen nutzen. Dem Fachkräftemangel kann durch eine nachhaltige und zukunftsweisende Strategie und der daraus resultierenden Attraktivität der Baubranche für heranwachsende Talente entgegengewirkt werden. Ebenso wird die digitale Transformation durch junges Fachpersonal beflügelt. Die ersten „grünen Pioniere“ sind in der Baubranche bereits vertreten und es ist ermutigend zu beobachten, dass immer mehr Betriebe und Unternehmen dieses Ziel verfolgen. Nicht zuletzt ist eine Nachhaltigkeitsstrategie positives Marketing für die Betriebe und Unternehmen.

Weitere Informationen zum Thema "Sustainable Finance" finden Sie auch in unserem Baufachmagazin: IBR - Information Bau-Rationalisierung 2/2021