Im Laufe der vergangenen Monate sind wir mit vielen Ausbildern und Verantwortlichen in kleinen und mittleren Unternehmen über Ausbildung, die Azubisuche, mögliche Maßnahmen und Unterstützungsleistungen ins Gespräch gekommen. Drei Maßnahmen kristallisierten sich rasch als besonders empfehlenswert heraus, um Jugendliche Einblicke in die Unternehmen und Entscheidungsgrundlagen für mögliche Ausbildungsberufe zu bieten. Mit einem Spezialisten zu einer dieser Maßnahmen – dem Schülerpraktikum – sprachen wir ausführlich. René Mühlroth ist Geschäftsführer der TeachCom Edutainment gGmbH und Vorstandsmitglied im Netzwerk Großbeerenstraße. Und da Marco Kilada – Bereichsleiter in der Agentur für Arbeit Berlin Süd, wo er den Bereich der Berufsberatung verantwortet – auch im Hause war, haben wir ihn gleich mitverhaftet und befragt.

Herr Kilada, welche Bedeutung haben Praktika für die Berufsorientierung von Schülern?

Für Schüler bieten die betrieblichen Praktika einen sehr hohen Mehrwert. Sie lernen verschiedene Betriebe kennen, aber auch verschiedene Berufsbilder. Und das gibt ihnen natürlich die Chance, um sich für den späteren Weg im Endeffekt zu entscheiden.

Und wie würden Sie die Frage beantworten, Herr Mühlroth?

Berufsorientierende Praktika können jedem Schüler einen tiefen Einblick in die Berufspraxis geben. Die Berufsfelder sind im Allgemeinen sehr breit aufgestellt. Es gibt verschiedenste Berufe in ein- und demselben Berufsbild, weswegen es wichtig ist, die einzelnen Berufe en détail in der Praxis – im Betrieb – anzuschauen. Wenn ich mir alleine schon anschaue, dass ich im Metallbereich zum Beispiel als Goldschmied arbeiten kann oder als Zerspanungsmechaniker in der Metallindustrie, in der Automobilzulieferindustrie – dann habe ich schon zwei völlig unterschiedliche Bereiche. Das eine eher künstlerisch orientiert, während das andere sehr prozessorientiert hochautomatisiert stattfindet. Beides Berufe im Metallbereich. Man sieht hier also sehr deutlich, wenn wir nur für den Metallbereich und nur vom Berufsbild Metallverarbeitung sprechen, dann ist das nicht hinreichend für Schüler, um sich wirklich für einen Beruf zu entscheiden, den man mit einer gewissen Leidenschaft umsetzen muss, zumindest um in der Ausbildung ein entsprechendes Ziel zu erreichen.

Warum sollten Unternehmen unbedingt Praktika anbieten?

Praktika haben für Unternehmen nach meinem Verständnis nur dann einen Sinn, wenn sie strategisch in einen Prozess des Recruitings von guten Auszubildenden integriert sind. Praktika altruistisch zu machen, um etwa gesellschaftliches Engagement zu zeigen, das ist gut, an der einen oder anderen Stelle hilfreich, aber letztendlich nicht nachhaltig. Wenn sie eingebunden sind in eine Recruiting-Strategie, dann haben diese Praktika auch einen bestimmten Charakter, geben Einblick in Ausbildungsprozesse, in Arbeitsprozesse, in bestimmte Fertigkeiten und münden nicht – wie allzu oft insbesondere bei Schülerpraktika – in Beschäftigungstherapien. Es ist ein Selbstschutz, wenn ich das Praktikum als Einstieg ins Recruiting begreife hinsichtlich guter Azubis.

Folgt daraus, dass ein Unternehmen, das ein gutes Praktikum anbietet, gleichzeitig auch ein guter Ausbildungsbetrieb ist?

Gute Ausbildung hängt in der Regel auch zusammen mit guten Praktikumsplätzen. Man könnte fast sagen, der Praktikumsplatz ist der kleine Bruder des Ausbildungsplatzes. Wer ein gutes, ein innovatives Praktikum anbietet mit vielfältigen Möglichkeiten, den Beruf, die Tätigkeiten und die Arbeitsprozesse kennenzulernen, da weiß man normalerweise auch, wie der Betrieb ausbildet. Meistens – das ist die Empfehlung, die wir im Unternehmensnetzwerk abgeben – ist die Praktikumsbetreuung unmittelbar mit den Menschen im Betrieb verknüpft, die auch für die Ausbildung zuständig sind, so dass sich die Partner dort entsprechend kennenlernen und man weiß, wem man begegnet, wenn man in diesem Betrieb eine Ausbildung anfängt.

Welche Maßnahmen sehen Sie neben dem Praktikum als elementar an, wenn Betriebe Jugendliche für eine Ausbildung gewinnen wollen?

Eine intensive Elternarbeit, gut vernetzte Arbeit mit der Schule – das sind zwei Themenfelder, in die man sehr viel Ressourcen, Leidenschaft und Energie hineinstecken muss.

Sie erwähnten die Eltern. Welche Rolle spielen sie bei der Entscheidung der Jugendlichen, ob und wo diese eine Ausbildung beginnen?

Die Elternrolle möchte ich als ambivalent bezeichnen. Einerseits ist ihr Einfluss zu gering, sie sind zu wenig involviert, haben aber auch nur klassische Berufsbilder im Kopf, sind nicht up-to-date hinsichtlich der eigentlichen Arbeitsabläufe wie der Tätigkeiten in den jeweiligen Berufen, die im Laufe der Zeit innovieren, jedoch auch mit Blick auf Aufstiegschancen. Es gibt zudem einen massiven Akademisierungsdruck von den Eltern her, der scheinbar in Konkurrenz mit der dualen Ausbildung steht, weil den Eltern nicht klar ist, dass man eigentlich als Techniker über Weiterbildungen einen Ingenieur in einem kleinen Unternehmen locker als Facharbeiter überholen kann. Mindestens im Verdienst, aber durchaus auch in der strategischen Bedeutung im Unternehmen. Auf der anderen Seite kann man oftmals insbesondere dann, wenn man es mit migrantischen Jugendlichen zu tun hat, klassische Rollenbilder von bestimmten Berufen – Bauingenieur, Arzt, Rechtanwalt – beobachten, aber gegenwärtig kaum technische Berufe. Teilweise gibt es da einen sehr hohen Einmischungsfaktor, der dazu führt, dass zwar der Jugendliche für den Ausbildungsberuf und der Betrieb für den Schüler Feuer und Flamme waren, aber die Eltern interveniert und den Ausbildungsstart untersagt haben. Beides trifft man also an: Starke Einmischung auf der einen Seite im Gegensatz zu viel Laissez-faire auf der anderen Seite.