3. Platz „Combinatorial Equilibrium Modelling (CEM)“

Bereich Architektur

Das Projekt

Das Hauptziel des vorliegenden Combinatorial Equilibrium Modelling (CEM)-Tool ist es, Entwerfer in der Konzeptphase von zu frühen typologischen Einschränkungen zu befreien und ihnen die Möglichkeit an die Hand zu geben, Gleichgewichts-Formen für beliebige topologische Kombinationen von Druck-Zug Konstellationen zu ermitteln. Idealerweise eröffnen sich dadurch komplett neue Perspektiven und ungeahnte Potenziale im Spannungsfeld zwischenTragverhalten, Architektur und dem Einsatz von digitalen Hilfsmitteln. Der Hauptunterschied zu den bestehenden Methoden ist die Art und Weise, wie mit Randbedingungen und Zielfunktionen im Algorithmus umgegangen wird. Im vorliegenden CEM-Ansatz werden die beiden Aspekte vertauscht. Daraus resultiert ein Prozess, bei dem die Form immer im Gleichgewicht ist, auch wenn nicht alle Randbedingungen befriedigt werden können. Dies hat im Umgang mit dem Tool den großen Vorteil, dass auch unerfahrene Entwerfer hinterfragen, wie gewünschte geometrische Eigenschaften mit den Gesetzen der Physik zusammenkommen können. Der Algorithmus von CEM selbst basiert auf der einfachen Idee, das Gleichgewicht in hintereinander geschalteten Sequenzen zu bilden. Unter Zuhilfenahme einfacher Graphentheoretischer Überlegung kann man das Problem so zerlegen, dass es in jeder Sequenz an jedem Knoten immer nur einen unbekannten Kraftvektor gibt, der den aktuellen Knoten ins Gleichgewicht bringt. Der Algorithmus wurde in einen Python-Code implementiert und in einem Rhino-Grasshopper-Tool veröffentlicht (https://github.com/OleOhlbrock/CEM). Das entwickelte CEM-Tool wurde bereits mehrfach erfolgreich in Lehre und Praxis angewendet, um den konzeptionellen Entwurfsprozess zu unterstützen.

Bewertung der Jury

Die Teamarbeit beschäftigt sich mit den Potenzialen im Spannungsfeld zwischen Tragverhalten, Architektur und dem Einsatz von digitalen Hilfsmitteln. Das Hauptziel des Ansatzes ist es, die Entwerfer in der Konzeptphase zu unterstützen und ihnen die Möglichkeit an die Hand zu geben, Gleichgewichtsformen für beliebige topologische Kombinationen von Druck-Zug-Konstellationen zu ermitteln. Dadurch eröffnen sich komplett neue Perspektiven und ungeahnte Potentiale für den Entwerfer. Das CEM-Tool wurde an verschiedenen Beispielen bereits erprobt, wie bei Formfindung von Tribünen und dem Dach des Wildparkstadions in Karlsruhe, weitere Beispiele für Brücken, Hochhäuser und andere Stadiondächer wurden in der Arbeit dargestellt. Die Jury würdigte neben dem hohen Praxisbezug vor allem den fachübergreifenden integrativen Ansatz sowie die Tiefe der wissenschaftlichen Ausarbeitung. Insbesondere in der frühen Entwurfsphase fehlen heutzutage noch Ansätze, um den wechselseitigen Zusammenhang zwischen Form einer Struktur und ihren inneren Kräften anschaulich darzustellen. Hierzu liefert die Arbeit einen sehr wichtigen Beitrag.

Das Projektteam

Patrick Ole Ohlbrock ist seit September 2013 diplomierter Bauingenieur. Er studierte Bauingenieurwesen mit der Querschnittsvertiefung Architektur an der Technischen Universität München von 2007 bis 2013. Zwischen seinem Bachelor- und Masterstudium arbeitete er als Praktikant bei Schlaich Bergermann und Partner, jeweils ein halbes Jahr in Stuttgart und New York. Schon zu Schulzeiten sammelte er erste praktische Erfahrungen, unter anderem bei Behnisch Architekten in Stuttgart. Seit Januar 2014 ist er an der Professur für Tragwerksentwurf als Assistent tätig. Seine Forschung beschäftigt sich vor allem mit der Modellierung und Optimierung von Gleichgewichtsstrukturen. Das übergeordnete Ziel ist es, neue Perspektiven und ungeahnte Potenziale im Spannungsfeld zwischen Tragverhalten, Architektur und dem Einsatz von digitalen Hilfsmitteln aufzuzeigen. Pierluigi D’Acunto erhielt 2007 sein Diplom in Bauingenieurwesen und Architektur mit Auszeichnung von der Universität Pisa (Italien) und 2012 seinen Master of Architecture mit Auszeichnung von der Architectural Association School of Architecture in London (Großbritannien). Im Jahr 2018 doktorierte er am Lehrstuhl für Tragwerksentwurf der ETH Zürich zum Thema „Structural Folding for Architectural Design" unter der Leitung von Professor Joseph Schwartz. Er wurde bei mehreren nationalen und internationalen Architekturwettbewerben ausgezeichnet. Aktuell ist er Dozent und Postdoc am Lehrstuhl für Tragwerksentwurf. Seine Forschung konzentriert sich vor allem auf die Erforschung der Konvergenz von Architektur und Ingenieurwesen durch Geometrie und grafische Statik.

Das Besondere am Projekt

Das Software-Modul Combinatorial Equilibrium Modelling ist eine in die Umgebung von Grasshopper eingebettete Software, die es erlaubt Gleichgewichtsformen für beliebige vom User vorgegebene Kraftkonstellationen zu finden. Der Hauptunterschied zu den bestehenden Methoden und Tolls ist die Art und Weise, wie mit Randbedingungen und Zielfunktionen im Algorithmus umgegangen wird. Klassischerweise werden in den Randbedingungen erwünschte Eigenschaften der Gleichgewichtsform (zum Beispiel die Lage der Auflager, die Intensität der inneren Kräfte) subsummiert und die Zielfunktion als Minimierung der Ungleichgewichtskräfte an jedem einzelnen Knoten definiert. Die Herausforderung bei diesen Ansätzen ist, dass das Problem oftmals keine Lösung beziehungsweise die Optimierung nicht konvergiert, somit nicht im Gleichgewicht und für den Entwerfer nicht brauchbar ist. Im vorliegenden CEM-Ansatz werden die beiden Aspekte vertauscht. Daraus resultiert ein Prozess, bei dem eine Form, die immer im Gleichgewicht ist, auch wenn nicht alle Randbedingungen befriedigt werden können. Dies hat im Umgang mit der Software den großen prozeduralen Vorteil, dass alle Formen die man in Echtzeit von der Software erhält, im Gleichgewicht sind und man auch als fachfremder Entwerfer nicht sofort frustriert ist, sondern gegebenenfalls anfängt zu hinterfragen, wie gewünschte geometrische und statische Eigenschaften mit den Gesetzen der Physik zusammenkommen können. Diese Herangehensweise fördert im Idealfall nicht nur das Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Form und Kräfteverlauf, sondern steigert die Interdisziplinarität. Denn die entstehenden Modelle sind sowohl für Architekten als auch Ingenieure nachvollziehbar und interaktiv.