Die Diagnose stimmt nachdenklich: Jeder der rund 20.000 Jugendlichen, der zu Beginn des aktuellen Ausbildungsjahres keine Lehrstelle hatte, könnte statistisch unter zwei freien Ausbildungsplätzen wählen. Aber die Betriebe beklagen die fehlende Passung. Denn wer immer es kann, strebt ein Studium an. Im "worst case" könnte die duale Ausbildung zur "Resterampe" verkommen. Das wäre ziemlich fatal, denn viele duale Ausbildungsberufe sind äußerst anspruchsvoll. Ich kann die Verbände gut verstehen, die eine zweijährige, verkürzte Ausbildung beispielsweise im Heizung-Sanitär-Klima- oder Elektrobereich, ablehnen.

Eines der Ziele der Bachelor/Master-Reform war es, Studierende stärker beruflich zu qualifizieren. Das fragen die auch zunehmend nach. Aber welcher Arbeitgeber kann zuverlässig einschätzen, was ein Absolvent eines der 8298 Bachelor-Studiengänge (HRK 2016) wirklich kann? Das ist ja schon bei 340 Ausbildungsberufen schwierig. Aber hier weiß der Arbeitgeber besser, was er nach der Ausbildung z. B. in einem der acht Elektroniker-Berufen voraussetzen kann. Ist der Absolvent eines entsprechenden Studiums nach 6 oder 8 Semestern besser qualifiziert? 

Sind wir vielleicht gerade dabei, eine der großen Stärken der beruflichen Bildung in Deutschland zu verspielen? Den engen Bezug zwischen Theorie und Praxis, die niedrigsten Quoten von Jugendarbeitslosigkeit in der EU? 

Die Idee der Bertelsmann-Stiftung, die duale Ausbildung für leistungsstarke Jugendliche attraktiv zu gestalten, ist an sich nicht originell. Das fordern auch die Allianz für Aus- und Weiterbildung und andere. Aber die Studie benennt Gründe, warum es bisher bei Lippenbekenntnissen blieb: Jeder Bildungsweg ist bis ins letzte Detail strukturiert und geregelt, Zuständigkeiten abgegrenzt, und zudem leisten wir uns Kleinstaaterei bei der schulischen Bildung. Würde man diese Säulen einreißen, könnten vielleicht ganz neue Dynamiken enstehen. Was ist mit der Anerkennung von Studienleistungen auf die Ausbildung bei Abbrechern? Wird viel drüber geredet, aber wenig transparent geregelt. Das Gleiche gilt übrigens auch für den Hochschul- oder Fächerwechsel. 

Wie wäre es, wenn jeder in der beruflichen Bildung nach der Schule erst einmal ein oder zwei Jahre eine Art "studium generale" machen würde: Teilweise in der Berufs- oder in der Hochschule, teilweise beispielsweise in einer überbetrieblichen Ausbildungsstätte oder in Praktika. Die Jugendlichen müssten sich nur für eine grobe Richtung entscheiden: Elektronik, Bauen, Kaufmann ... Man käme vielleicht auf 30-40 Berufsfelder. Sie lernen theoretische Grundlagen und können ihre eigenen praktischen und theoretischen Fähigkeiten und Ambitionen ausprobieren.

Sind diese Basics gelegt, entscheidet sich erst der weitere Berufsweg: noch 1-2 Jahre "klassische" duale Ausbildung oder duales Studium - immer weiter spezialisiert. Oder ein eher wissenschaftliches Studium mit dem Bachelor nach 1-2 Jahren und der Option auf einen Masterstudiengang, in dem ebenfalls weitere spezialisiert werden kann.
Das sind Ideen, vielleicht "spinnerte" Ideen. Aber für mich drängt sich der Eindruck auf, dass in der beruflichen Bildung Reformbedarf besteht. Übrigens auch, weil es so was wie einen demografischen Wandel gibt und die Nachwuchsjahrgänge immer kleiner werden. Da darf keiner auf der Strecke bleiben, vor allem keiner von den leistungssstarken!