Begeisterung wecken, Talente entdecken - Was Entrepreneurship Education bewirkt

Begeisterung wecken, Talente entdecken - Was Entrepreneurship Education bewirkt

Befähigt Schule nicht ausreichend für die Wissensgesellschaft?

Hochschulabschlüsse und Schulzeugnisse sind bei der Personalauswahl wertlose Kriterien, so das Ergebnis einer internen Studie eines großen amerikanischen Internet-Konzerns. Als Begründung führt der Personalchef im New York Times Interview unter anderem auf, dass SchülerInnen und Studierende viel Zeit damit verbringen, Antworten auf Fragen zu geben, bei denen die passenden Antworten in Form von Musterlösungen bekannt sind. In der heutigen Wissensgesellschaft sind jedoch Menschen gefragt, die die Fähigkeit besitzen, Lösungen für komplexe Probleme zu finden, bei denen noch kein Lösungsweg vorliegt.

Auch Hirnforscher Gerald Hüther kommt in seinem im Jahr 2014 erschienenen Buch "Lernlust" zu keinem schmeichelhaften Ergebnis. Er stellt mit Sorge fest, dass es an Schulen primär um gute Noten geht. Die Förderung eines unabhängigen Geistes kommt nach seiner Auffassung vielerorts zu kurz. Erfolgreich ist, wer Durchhaltevermögen und Ehrgeiz aufbringt. Was in gesellschaftlicher Hinsicht wirklich zählt – jedoch nicht vermittelt wird – ist Beharrlichkeit.

Denn ein komplexes Problem kann nur derjenige lösen, der mit Fehlversuchen umgehen kann, der sich nicht unterkriegen lässt und der wieder und wieder voller Motivation neue Lösungsansätze ausprobiert, argumentiert Hüther.

Besonders wirksam und erfolgreich in der Problemlösung sind Menschen immer dann, wenn sie an Fragen ansetzen, bei denen sie ihre persönlichen Stärken einbringen und einsetzen können. Jedoch trägt der Schulunterricht nur sehr eingeschränkt dazu bei, dass junge Menschen sich bewusst werden, welche Talente in ihnen stecken und für was sie sich begeistern, schildert Bildungsexperte Sir Ken Robinson in seinem Bestseller "The Element".

Journalist Wolff Lotter stellt fest, dass die Schule in ihrer heutigen Form hauptsächlich zum Mitmachen und zur Unterordnung erzieht. Zielführend wäre es aber, wenn es um Selbständigkeit ginge, denn: "Es ist schlicht Selbstbetrug zu glauben, dass im Leben alles planbar wäre. Üben wir die Fähigkeit mit Überraschungen umzugehen".

Zu kreativem und lösungsorientiertem Denken anregen

Es kann in Klassenzimmern aber auch deutlich anders zugehen. Wir sind zu Gast an einem Gymnasium in Hessen und finden genau das vor, was sich der Personalchef, der Hirnforscher, der Bildungsexperte und der Journalist wünschen.

Wenn Sie mich heute fragen, welches Mittel, welche Methode oder gar Therapie am besten zur Persönlichkeitsentwicklung geeignet ist, dann habe ich eine klare Antwort: Entrepreneurship."

– Günther Faltin –

Der Klassenlehrer erläutert uns die Balance von Vertrauen und Kontrolle und hebt die Vorteile der Freiheit der eigenen Projektsteuerung und Projektplanung durch die SchülerInnen hervor. Er unterstreicht das Zeit- und Selbstmanagement durch die Jugendlichen als bedeutende Schlüsselkompetenz. Und schildert, wie die Teamfindungsprozesse den sozialen Zusammenhalt an der Schule verbessern und wie sehr sich die SchülerInnen im Bereich Innovations- und Kreativitätsfähigkeiten weiterentwickelt haben.

Ergebnisoffene Problemlösung, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung durch SchülerInnen? In unserem Gespräch geht es um Entrepreneurship Education. Ein verhältnismäßig neuer Ansatz.

Die Antwort: Entrepreneurship Education – aber was ist das?

"Entrepreneurship" – schon der Versuch, diesen franco-anglophonen Begriff elegant auszusprechen, ist eine Herausforderung. Wenigstens der Zusatz "Education" wirkt vertrauter, zumindest solchen Menschen, die sich auf die Arbeit im Bildungssektor vorbereiten. Tatsächlich muss man ein wenig ausholen, um den Begriff und die gesellschaftliche Bedeutung dieser Thematik zu erklären.

Für Entrepreneurship Education werden in der Literatur unterschiedliche Begriffe verwendet:

  • Unternehmergeist
  • Gründungserziehung
  • Gründungsdidaktik
  • Unternehmerische Kompetenz
  • Unternehmerisches Denken
  • Kultur der unternehmerischen Selbständigkeit
  • Kultur der Selbständigkeit

um nur einige zu nennen. Teils handelt es sich um synonym zu verwendende Begriffe, teils um enger oder weiter gefasste Definitionen des Themengebietes.

Um was geht es im Kern? "‘Die Schülerinnen und Schüler verfügen über die Fähigkeit und Bereitschaft, in risikobehafteten, ökonomisch geprägten Situationen das Für und Wider ihres Handelns sorgfältig abzuwägen und die berufliche Selbständigkeit als mögliche Perspektive für die eigene Person zu reflektieren‘.".

Es geht bei Entrepreneurship Education um die Vermittlung von ökonomischem Basiswissen, gekoppelt mit dem Training elementarer Persönlichkeitskompetenzen. Oder ganz verkürzt: Die SchülerInnen lernen, selbständig und eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen und wissen, was sie im Vergleich zu anderen besonders gut können.

Entrepreneurship – Gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung

Gemessen an klassischen wirtschaftlichen Kennzahlen wie Arbeitslosenquote und Bruttoinlandsprodukt geht es Deutschland gut. Warum also machen wir uns Gedanken über das unternehmerische Handeln und Denken in unserem Land? Weil Deutschland genau in diesem Bereich – und zwar wenn es um die Neugründungen von innovativen Unternehmen geht – eher im hinteren Bereich liegt: Im internationalen Vergleich mit 26 Ländern belegten wir 2013 den 22. Platz. Die Gründe dafür sind vielfältig, neben vielen anderen Faktoren sind es in Deutschland vor allem die Angst vor dem Scheitern und allgemein eine zögerliche Grundeinstellung gegenüber dem Thema Gründung, die bei entsprechenden Studien genannt werden.

Eine erfolgreiche Wirtschaft lebt von erfolgreichen, innovativen Unternehmen, die Lösungen für die Herausforderungen unserer heutigen (und zukünftigen) Lebenswelt schaffen können. Gegründet werden solche Unternehmen von Menschen, die Ideen haben, diese zu einem stichhaltigen Konzept ausarbeiten, und, um diese Geschäftsideen umzusetzen, den Schritt einer Unternehmensgründung wagen. Entrepreneurship – zu Deutsch auf unterschiedliche Weise übersetzt, meist leider eher unzureichend mit dem Begriff „Unternehmertum“ – beschreibt hierbei vor allem eine innere Haltung: Die Überzeugung vom eigenen unternehmerischen Konzept und das Selbstvertrauen, es erfolgreich am Markt etablieren zu können.

Ein wichtiges Kriterium bei der Definition des Begriffes ist, dass es dabei primär um neuartige, kreative und innovative Ansätze geht, und nicht um die Fortsetzung eines bestehenden Geschäftsmodells oder die Vermarktung eines bereits etablierten Produkts. Besonders wichtig ist das Thema nicht nur aufgrund der Relevanz für den Einzelnen, sondern vor allem wegen seiner gesamtwirtschaftlichen Bedeutung: „Metaphorisch gesprochen bilden Entrepreneure den eigentlichen ‘Ottomotor‘, der eine Marktwirtschaft in Bewegung hält und dafür sorgt, dass die Betriebsschließungen durch Neugründungen ausgeglichen oder übertroffen werden und in den Betrieben eine dynamische Kultur der Erneuerung und Veränderung herrscht.“

Es geht bei Entrepreneurship Education um die Vermittlung von ökonomischem Basiswissen, gekoppelt mit dem Training elementarer Persönlichkeitskompetenzen.

Oder ganz verkürzt: Die SchülerInnen lernen, selbständig und eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen und wissen, was sie im Vergleich zu anderen besonders gut können.

Doch auch außerhalb des klassischen Unternehmertums spielt das Thema eine Rolle. Längst sind die Zeiten gradliniger beruflicher Biografien passé, in denen eine Laufbahn – beginnend mit einem zielführenden Studium über eine stringente Karriere mit wenigen langjährigen Anstellungen bis ins Rentenalter – Sicherheit versprach, zugegebenermaßen aber auch eher wenig Abwechslung. Der heutige Berufsalltag ist ein anderer: Befristete Verträge, häufige Wechsel von Arbeitsorten und -branchen und unterschiedliche Anstellungsverhältnisse erfordern eine neue Haltung beim Arbeitnehmer. Und zwar eine unternehmerische. Nicht weil jeder heute selbst UnternehmerIn wird, sondern weil auch für Menschen im Angestelltenverhältnis das Thema Eigenverantwortung künftig eine größere Rolle spielen wird – Eigenverantwortung für die persönliche professionelle Entwicklung und Karriere, für Selbstorganisation, für die individuelle berufliche Spezialisierung anhand der eigenen Interessen und Talente – aber auch dafür, wie viel man für die geleistete Arbeit verdienen will.

Unternehmerisches Denken in der Schule

Entrepreneurship ist Schlüsselqualifikation – Entrepreneurship Education setzt deshalb in einem sehr frühen Stadium an: Junge Menschen sollen bereits während ihrer Schulzeit Einblicke in wirtschaftliche Zusammenhänge erhalten und beispielsweise im Rahmen von Planspielen, Businessplanwettbewerben oder durch die Mitarbeit in Schülerfirmen lernen, wie man ein innovatives unternehmerisches Konzept ausarbeitet. Gleichzeitig kann im Schutzraum Schule frei experimentiert und ausprobiert werden. Scheitern und Fehltritte werden als normale Komponenten eines Problemlösungsprozesses erfahren. Und ganz wichtig: Es bildet sich Erfahrungswissen heraus, wie Unternehmertum erfolgreich funktionieren kann. "Wissen wie es geht" ist ein wichtiger Katalysator für eine neue Gründungskultur in Deutschland.

Das Thema Förderung des Unternehmergeistes in den Schulen steht daher schon länger auf der politischen Agenda, und zwar auf höchster Ebene. So unterstützt auch Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, die Einführung von mehr wirtschaftlichen Inhalten in der Schule: "Ja, wir brauchen mehr Wirtschaft in der Schule. Denn Schulen nehmen eine ganz wichtige Funktion ein. Sie erklären Jugendlichen bereits früh wirtschaftliche Zusammenhänge und führen sie an Gründung und Unternehmertum heran. Die Jugendlichen sind daran auch interessiert. Junge Menschen haben viele tolle Ideen, sie sind neugierig und begeisterungsfähig. Sie wollen die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in der Praxis kennenlernen."

Entrepreneurship Education wird derzeit noch primär außerhalb des Regelunterrichts in freiwilliger Projektarbeit vermittelt. Einige Bundesländer haben jedoch das Fach Wirtschaft bereits in den Lehrplan mit aufgenommen. Ziel dabei soll sein, "die jungen Menschen bei der Orientierung in dieser Welt raschen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Wandels zu unterstützen und dabei die unterschiedlichen Vorkenntnisse und -erfahrungen zu berücksichtigen und zu nutzen". Auch in der universitären Lehrerausbildung ist das Fach angekommen, so bietet zum Beispiel die Universität Frankfurt das Fach Politik und Wirtschaft an, die Universität München Wirtschaftswissenschaften, beides für die Sekundarstufe II.

Auf die Lehrkraft kommt es an

Bei Entrepreneurship Education Projekten sind SchülerInnen nicht wie sonst "Konsumenten" von Bildung, sondern mündige eigenverantwortliche Gestalter. Sie entscheiden selbst, für welche Problemstellung sie einen Lösungsansatz finden und in Form eines unternehmerischen Konzepts ausarbeiten wollen. Sie erarbeiten Marketingkonzepte. Kalkulieren, ob und wie sich ihr Produkt erfolgreich am Markt etablieren lässt. Den SchülerInnen die Freiheit der eigenen Projektsteuerung zu geben verlangt Lehrkräften ein großes Maß an Vertrauen ab. Es ist hier jedoch nicht nur die emotionale Komponente des Begriffes gemeint. Es geht auch um Zutrauen, also die Fähigkeit zu Handlungen.

Selbständigkeit, Eigenverantwortung und Vertrauen: Da kann schnell der Eindruck entstehen, dass es auf die Lehrkraft gar nicht mehr ankommt. Weit gefehlt! Zum einen haben LehrerInnen einen großen Anteil daran, dass SchülerInnen dazu motiviert werden, an solchen Projekten überhaupt teilzunehmen. Gleichzeitig sind LehrerInnen während der gesamten Projektphase wichtige Ansprechpartner und bedeutende inhaltliche Impulsgeber und sie vermitteln relevantes Hintergrundwissen. Was sich jedoch im Vergleich zum Unterricht verändert, ist die Rolle. LehrerInnen fungieren als Mentoren und Coach.

Muss die Lehrkraft alles wissen?

Nein. Es steht ein großes Unterstützungsnetzwerk zur Verfügung auf das zurückgegriffen werden kann. Um die Schulen und Lehrkräfte zu unterstützen und einen engen Bezug zur Praxis zu gewährleisten, gibt es seit einigen Jahren unabhängige Initiativen, die zum Teil von gemeinnützigen Stiftungen und Vereinen ins Leben gerufen wurden, um gemeinsam mit Schulen und Lehrkräften das Thema Entrepreneurship Education aufzugreifen und anhand von Planspielen und Schülerwettbewerben möglichst lebendig und praxisnah zu vermitteln. Zusammengeschlossen haben sich diese Projekte in dem Initiativkreis "Unternehmergeist in die Schulen", um ihre Kompetenzen transparent zu machen und zu bündeln und in enger Zusammenarbeit mit SchülerInnen und Lehrkräften die Qualität der Angebote zu gewährleisten. Unter www.unternehmergeist-macht-Schule.de findet sich nicht nur eine umfassende Datenbank mit detaillierten Beschreibungen der einzelnen Projekte, sondern auch umfangreiches Material für SchülerInnen, zahlreiche Praxisbeispiele und Hilfestellungen für Lehrkräfte.

Entrepreneurship Education – Und was haben die SchülerInnen davon?

Einfach gesagt: neue Erfahrungen auf unterschiedlichsten Ebenen, die der Regelunterricht – (noch) nicht – bietet (Siehe Abbildung 1). Sie haben die Chance, wirtschaftliche Grundkenntnisse zu erwerben bzw. zu verbessern. Gleichzeitig lernen sie etwas über Teamfähigkeit, also wie es ist, über einen längeren Zeitraum an einer komplexen Aufgabe arbeitsteilig zu arbeiten. Über den Projektverlauf besteht die Möglichkeit unterschiedliche Rollen auszuprobieren – Teamleitung, Marketing, Controlling etc. – und so die Möglichkeit, ein Gefühl für persönliche Stärken und Schwächen zu entwickeln. Die Rolle der Teamleitung beinhaltet gleichzeitig die Chance, erste Führungserfahrung zu sammeln, indem das Team immer wieder motiviert wird, Sitzungen moderiert und angeleitet werden wollen und die Projektziele im Auge behalten werden müssen. Gleichzeitig lernen alle im Team, dass es wichtig ist, die zur Verfügung stehende Zeit gut einzuteilen und Termine rechtzeitig vorzubereiten und zu organisieren. Dazu kommt die Fähigkeit, einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn es doch einmal eng wird und eine Stresssituation bewältigt werden muss.

Im Bereich Präsentationsfähigkeit werden oft große Fortschritte gemacht. Die SchülerInnen lernen, eine Präsentation gut durchzustrukturieren und gut gestaltete Folien zu erstellen. Vor einer größeren Personengruppe frei zu reden wird nicht mehr als "Bedrohung" wahrgenommen, sondern geschieht selbstsicher und entspannt.

Häufig werden im Rahmen von Entrepreneurship Education Projekten auch Kreativitätstechniken ausprobiert wie zum Beispiel Brainstorming oder Mind Mapping. Welche Substitute gibt es für unser geplantes Produkt? Welche Wettbewerber befinden sich in unserem Marktsegment? Durch die Beantwortung solcher Fragestellungen im Rahmen der Projekte lernen SchülerInnen, analytisch vorzugehen. Während des Projektverlaufs werden die Teams häufig von einem seitens des Ausrichters bereitgestellten Unternehmenscoach begleitet. Neben persönlichen Treffen entsteht meist auch ein reger schriftlicher Austausch, beispielsweise per E-Mail. Es wird so durch Ausprobieren gelernt, wie man einen effizienten Dialog führt oder eine gute geschäftliche Textnachricht verfasst. Stößt das unternehmerische Konzept der SchülerInnen beim Unternehmenscoach auf Zustimmung oder gar Begeisterung, wirkt sich dies positiv auf das Selbstvertrauen aller im Team aus. Der Kontakt zum Unternehmenscoach und die thematisch-inhaltlichen Arbeiten am unternehmerischen Konzept sind auch für die Studien- und Berufsorientierung hilfreich. Die Jugendlichen erhalten einen tiefgehenden Einblick in die jeweilige Branche und bekommen ein Gefühl dafür ob sie es sich vorstellen können, in dem Themenfeld später dauerhaft zu arbeiten.