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Fachkräfteabwanderung stoppen

Der Mangel an geeigneten Arbeitskräften ist bei den Baubetrieben seit geraumer Zeit produktionsbehindernder Faktor Nummer Eins. Selbst in Bauberufen, die nur eine abgeschlossene Berufsausbildung verlangen, stellt die Bundesagentur für Arbeit mittlerweile bundesweite Engpässe bei der Stellenbesetzung fest. Bei der Behebung des Fachkräftemangels wird meist an die Gewinnung neuer Fachkräfte gedacht. Es scheint aber mindestens genauso wichtig zu sein, die Abwanderung von Fachkräften in andere Branchen zu stoppen. Eine neue Studie von SOKA-BAU zeigt, dass für die Abwanderung vor allem gesundheitliche und finanzielle Gründe verantwortlich sind.

Der Fachkräftemangel entwickelt sich in der Bauwirtschaft zunehmend zur Konjunkturbremse. Waren es im Zuge der Baukrise noch mehrheitlich fehlende Aufträge, die die Geschäftstätigkeit belastet haben, sind es seit geraumer Zeit fehlende Arbeitskräfte. So geben in der monatlich stattfindenden Befragung des ifo-Instituts mittlerweile zwischen 15 und 25 Prozent der Baubetriebe an, dass der Mangel an geeigneten Arbeitskräften die Produktion behindere. Dies sind die höchsten jemals gemessenen Werte. Demgegenüber berichten nur noch rund zehn Prozent von mangelnden Aufträgen, dies ist gleichzeitig der niedrigste jemals gemessene Stand.

Der Mangel an Fachkräften zeigt sich in der Praxis darin, dass offene Stellen in der Bauwirtschaft überdurchschnittlich lange unbesetzt bleiben. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) dauert die Besetzung von offenen Stellen im Hoch-, Tief- und Ausbau, bei denen eine Meisterqualifikation verlangt wird, in der Spitze beinahe doppelt so lange wie im Bundesdurchschnitt aller Berufe (vgl. Bundesagentur für Arbeit (2018), Fachkräfteengpassanalyse Juni 2018, S. 15–16). Die Stellen für „Spezialisten“ im Hoch-, Tief- und Ausbau stehen deshalb bereits seit mehr als einem Jahr auf der Liste der Engpassberufe der BA, was eine Anwerbung von Arbeitskräften außerhalb der EU-Länder ermöglicht. Mittlerweile gilt gleiches sogar für Berufe im Tief- und Ausbau, bei denen lediglich eine abgeschlossene Berufsausbildung vorausgesetzt wird.

Es ist naheliegend, das Problem des Fachkräftemangels zu beheben, indem man neue Gruppen von jungen Leuten für die Bauwirtschaft interessiert. Die bisher angelaufenen Maßnahmen in diesem Bereich, wie zum Biespiel das Programm Berufsstart Bau, das junge Leute an die Ausbildung am Bau heranführt, sind offensichtlich auch erfolgreich. So ist die Zahl neuer Ausbildungsverhältnisse im vergangenen Jahr mit einem Plus von rund 7,5 Prozent kräftig gestiegen, insbesondere dank der Integration von Flüchtlingen. Mindestens genauso wichtig scheint es aber zu sein, die Fachkräfte in der Branche zu halten. So zeigt eine Auswertung von SOKA-BAU, dass Auszubildende zwar ihrem Ausbildungsbetrieb zunehmend länger treu bleiben, der Anteil derjenigen, die im ersten Jahr nach Ausbildungsende aber nicht nur den Ausbildungsbetrieb, sondern gleich die Branche verlassen, jedoch in den vergangenen Jahren zugenommen hat und (inklusive Weiterbildung und Arbeitslosigkeit) bei rund 50 Prozent liegt (vgl. M. Macherey und T. Middendorf (2016), Lehrlinge bleiben länger im Ausbildungsbetrieb. In: Baugewerbe Nr. 5/2016, Seiten 23–25).

Dies bietet einen Anlass, nach den Gründen für den Fachkräfte-Exit zu suchen. Hierzu wurden von SOKA-BAU Anfang des Jahres unter anderem rund 230 Arbeitnehmer befragt, die nach vorheriger durchgängiger Beschäftigung seit geraumer Zeit nicht mehr als Arbeitnehmer in Erscheinung getreten sind. Dabei stellte sich heraus, dass es sich bei den abgewanderten Arbeitnehmern hauptsächlich (zu zwei Dritteln) um ausgebildete Fachkräfte handelt und die Hochbaubetriebe vergleichsweise stärker von dem Problem der Abwanderung von Fachkräften betroffen sind.

Was die Abwanderungsgründe angeht, nennt der größte Teil der Befragten (38 Prozent) gesundheitliche Gründe, gefolgt von schlechten ökonomischen Rahmenbedingungen wie einem zu niedrigen Gehalt (25 Prozent), Kündigung beziehungsweise Insolvenz des Arbeitgebers (13 Prozent) und zu hoher Arbeitsbelastung (12 Prozent). Als Zielbranche nennen die abgewanderten Fachkräfte mehrheitlich das Verarbeitende Gewerbe, gefolgt vom öffentlichen Bereich und dem Handel. Für rund 40 Prozent der abgewanderten Fachkräfte ist der Abschied aus der Branche endgültig. Vor allem jüngere Arbeitnehmer (bis 25 Jahre) können sich aber durchaus wieder vorstellen, in die Baubranche zurückzukehren.

Welche Schlüsse können aus der Studie gezogen werden? Zum einen, dass die harte körperliche Arbeit am Bau immer noch eine besondere Herausforderung für die Arbeitnehmer darstellt. Dies deckt sich mit Daten zum Renteneintritt der Arbeitnehmer, die SOKA-BAU vorliegen. Danach haben im Jahr 2016 23 Prozent der Neurentner in der Baubranche eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung bezogen, wohingegen nur 16 Prozent der gesamten westdeutschen Neurentner eine Erwerbsminderungsrente bezogen. Es wäre deshalb hilfreich, die körperliche Belastung der Arbeitnehmer wenn möglich zu reduzieren und ihnen gegebenenfalls nach längerer Tätigkeit alternative Beschäftigungsformen in Aussicht zu stellen. Dazu gehört es auch, die Möglichkeiten des technischen Fortschritts besser zu nutzen, die Baubranche investiert erfahrungsgemäß im Branchenvergleich ohnehin verhältnismäßig wenig in Ausrüstungsgüter.

Zum anderen ist offensichtlich nicht alles Gold, was glänzt. So wartet die Branche während der Ausbildung regelmäßig mit den höchsten Azubigehältern in Deutschland auf. Nach der Ausbildung kommt für viele Beschäftigte insbesondere in nicht tarifgebundenen Betrieben aber offensichtlich die Ernüchterung in Form von Verstößen gegen den Mindestlohn und ausbleibenden Lohnsteigerungen. Die Ursachen liegen in einer nicht ausreichenden staatlichen Kontrolle des Wettbewerbs, der häufig zu Lasten der Preise und damit der Löhne der Beschäftigten geht. Zu nennen wäre hier insbesondere der Wettbewerb zwischen deutschen Baubetrieben und europäischen Entsendebetrieben, die aufgrund der niedrigeren Sozialabgaben in ihren Heimatländern ohnehin einen Kostenvorteil haben, aber auch die zunehmende Konkurrenz durch Solo-Selbständige. Darüber hinaus verpflichten sich selbst die öffentlichen Auftraggeber in Deutschland bisher nicht flächendeckend über Tariftreueregelungen dazu, nur Aufträge an tariftreue Betriebe zu vergeben.

Der Fachkräftemangel in Deutschland – das zeigen die Analysen der Bundesagentur für Arbeit – hat mittlerweile zahlreiche Branchen erfasst. Die Zahl neuer Auszubildender entwickelt sich in der Baubranche bereits seit einigen Jahren positiver als der bundesweite Branchenschnitt. Die Branche sieht sich aber zunehmend mit dem Problem konfrontiert, diese Fachkräfte auch zu halten.