Wege zur Kultur für Alle – Barrierefreie Zugänge zu denkmalgeschützten Gebäuden

Ursula Fuss

Wege zur Kultur für Alle – Barrierefreie Zugänge zu denkmalgeschützten Gebäuden

Menschen mit Behinderungen sind Menschen mit unvorstellbar vielfältigen Fähigkeiten, die sie entwickelt haben, um andere verlorene Fähigkeiten auszugleichen. Auch ältere Mitbürger versuchen altersbedingte Einschränkungen auszugleichen, um weiterhin ein weitgehend selbstständiges Leben führen zu können. Ihr Anteil an der Bevölkerung wächst stetig, so dass heute temporär mobilitätseingeschränkte Mitmenschen circa 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Die Medizintechnik eröffnet diesen Menschen heute ganz neue Unterstützungen, die ihre Mobilität und Selbstständigkeit verbessern. Voll ausgeschöpft werden können diese Fähigkeiten und Potenziale aber nur, wenn ihr Lebensraum barrierefrei gestaltet ist. Dies umzusetzen, ist vor allem Aufgabe der Architektur.

Barrierefreie Inseln sind keine Lösung

Dabei kann es nicht darum gehen, Insellösungen zu schaffen. Das lässt sich am Beispiel des Wohnungsbaus gut veranschaulichen. Alle Landesbauordnungen fordern mittlerweile, dass durchschnittlich 25–30 Prozent der Neubauwohnungen barrierefrei erstellt werden müssen. Zu den verbleibenden 70–75 Prozent haben bewegungseingeschränkte Menschen aber weiterhin keinen Zugang, ohne auf Hilfe anderer angewiesen zu sein. Die bestehenden Richtlinien fördern daher solche Insellösungen und verhindern einen freien sozialen Austausch und den Kontakt zwischen den verschiedenen, gesellschaftlichen Gruppen.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass viele Bereiche wie Wohnungen von Freunden und Lebenspartnern sowie andere öffentliche Orte für bewegungseingeschränkte Menschen nicht erreichbar sind. Sie können keine spontanen Aktivitäten unternehmen und andere Menschen besuchen, weil für sie die jeweiligen Gebäude und Plätze oft nicht zugänglich sind.

Häufig ist bei den Betroffenen Resignation zu beobachten. Sie schließen sich vom sozialen Leben aus, weil sie vom Zugang zu vielen Räumen und Orten ausgeschlossen sind. Dabei fördert Erfahrungsaustausch die unterschiedlichsten Fähigkeiten: Durch den Kontakt zu Menschen mit anderen Fähigkeiten werden eigene Fähigkeiten oft erst bewusst und angewandt.

Aus diesem Grund müssen wir versuchen, tendenziell alle gebauten Flächen und Ebenen für alle gleichermaßen erreichbar zu machen. Die Architektur bietet hierfür verschiedene Erschließungsmöglichkeiten an, die Planer als Herausforderung nehmen sollten. Vorschriften alleine werden nicht helfen, denn diese verhindern oft kreative neue Lösungen. Barrierefreie Architektur kann entstehen, wenn Planer und Investoren individuelle Entwurfskonzepte entwickeln, die eine barrierefreie Erschließung ermöglichen und flexible Grundrisse anbieten.

Wirtschaftliche Gründe, um barrierefreie Erschließungen zu umgehen, sind oft nur vorgeschoben. Denn eine barrierefreie Konzeption, die zum integralen Bestandteil der frühen Planungsphase wird, ist Garant für eine wirtschaftliche Umsetzung und vermeidet nachträglichen Anpassungsaufwand. Letzterer ist häufig genug verbunden mit für die Nutzer aufwendigen Notlösungen. Wenn gute Entwurfskonzeptionen eine Ausstattung mit technisch unbefriedigenden und kostenintensiven Einbauten überflüssig machen, sind diese immer zu bevorzugen. Als Orientierungshilfe für eine barrierefreie Planung können die 2010 aktualisierten DIN-Normen zum barrierefreien Bauen herangezogen werden.

Ein großes Aufgabenfeld besteht in bestehenden Gebäuden. Hier ist oft eine Möglichkeit gegeben, barrierefreie Erschließungssysteme zu realisieren. Bei eigenen Untersuchungen habe ich festgestellt, dass der vorhandene Wohnraum durchaus barrierefrei ist, meist ist die Nutzung dennoch durch fehlende Erschließungen unmöglich.

Barrierefreiheit kann nur entstehen, wenn Planer und Ausführende bereit sind, gemeinsam experimentelle Lösungen zu suchen. Drei Beispiele für barrierefreie Erschließungen in und an Bestandsgebäuden möchte ich nachfolgend vorstellen. Entworfen wurden alle von c.f. Architekten, Frankfurt am Main.

Christuskirche Mainz

Die Christuskirche in Mainz wurde saniert. Auch die Erschließung, die eine Höhe von 2,4 Metern überwindet, wurde dabei barrierefrei gestaltet. Denkmalpflegerisch gab es die Anforderung, eine symmetrische Lösung zu entwickeln.

Die bisherige, nicht barrierefreie Erschließung erfolgte von der vorgelagerten Parkanlage auf einen Kirchplatz auf halber Höhe und dann weiter zum eigentlichen Eingangspodest. Der Kirchplatz ist ein wichtiger Ort, an dem das Gespräch nach Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen stattfindet.

Als Lösungen wurden ursprünglich Nebeneingänge und gespiegelte Rampen vorgeschlagen, die direkt von der Parkanlage auf das Eingangspodest führen. Der wichtige Raum des Kirchplatzes wurde hierbei vernachlässigt. In unserer Entwurfsplanung wurde eine symmetrische Anlage geplant, die den Kirchplatz und das Eingangspodest gleichermaßen einschließt. So wurde dem Denkmalschutz Rechnung getragen und gleichzeitig eine wichtige weitere Aufgabe der Erschließung wahrgenommen:

Der Kirchplatz bleibt ein zentraler Platz; auf allen Ebenen können alle mit allen kommunizieren.

Die Rampenanlage selbst wird zu einem eigenständigen Bauwerk und zeigt offen die Ergänzung zum Bestand. Sie hat den Spitznamen „Der Pilgerpfad“ erhalten. Das zeigt, dass sie Zugang zu den Köpfen der Besucher erhalten hat.

Konstruktiv wurde die Rampe mit Fertigteilbetonwänden, welche eigens für dieses Projekt farblich hergestellt wurden, umgesetzt. Zwischen diesen Wänden wurde die Rampenführung mit den geforderten Zwischenpodesten bei einer Neigung von 4,75Prozent realisiert. Diese flache Neigung ermöglicht ein einfaches und unangestrengtes Befahren.

Der Kirchplatz der Christuskirche in Mainz befindet sich auf halber Höhe zwischen Parkanlage und Eingangspodest. Als kommunikatives Zentrum wurde er in die barrierefreie Erschließung einbezogen und ist sowohl über die Treppe als auch symmetrisch geführte Rampen zugänglich.

Gedächtniskirche Speyer

Die Gedächtniskirche in Speyer wurde Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Bartholomäus-Weltz-Platz erbaut. Der Hauptzugang der Kirche befindet sich im Nordwesten, der Kirchenraum liegt circa 1,60 Meter über dem Platzniveau. Im Westen der Kirche schließt das Gemeindehaus an.

Im Zuge der Sanierung sollte der Zugang barrierefrei gestaltet und das Gemeindezentrum angebunden werden. Der barrierefreie Zugang sollte gleichberechtigt mit dem Hauptzugang hergestellt werden.
Im Entwurf wird das Element der radialen Stufen an der Vorderwie Rückseite der Kirche für die barrierefreie Rampe aufgenommen. Eine 33 Meter lange Rampe entwickelt sich aus der Fläche des Platzes im Westen der Kirche. Sie beginnt am westlichen Querschiff und endet an der westlichen Eingangstreppe am Haupteingang. Zum Platz hin stuft sich die Rampe als Treppenanlage ab. Es wird so möglich, die Rampe jederzeit und überall zu betreten. Durch die Breite der Rampe war es möglich, einen Handlauf in der Mitte zu erstellen, der von beiden Seiten benutzt werden kann. Es wird so gewährleistet, dass für jeden Bedarf ein Handlauf zu Verfügung steht.

Die Treppenanlage wird an die eigentliche Kirchenfassade über drei breite Sitzstufen angebunden. Die vielschichtige Fassadengestaltung der Kirche wird so flächig aufgenommen.

In diesem Falle wurde eine schiefe Ebene erstellt, die aufgrund ihrer Breite den Handlauf mittig aufnehmen konnte und es wurde eine beidseitige, den Fähigkeiten entsprechende Nutzung ermöglicht. Die Stufen wurden dieser Rampe angepasst. Auf Zwischenpodeste konnte aufgrund der flachen Neigung (4,75 Prozent) verzichtet werden. Die Entwässerung wird über die Fläche gewährleistet. Der Pflasterbelag wurde wie auf dem gesamten Platz ausgeführt. Um die Erschütterungen durch das Kopfsteinpflaster zu minimieren und das Auswaschen der Fugen zu verhindern, wurde der Fugenmasse ein Kunststoffzusatz beigefügt.
Zum Platz stuft sich die Rampe zur Treppenanlage ab, so dass sie jederzeit von jeder Stelle des Platzes aus betreten werden kann.

Renaissanceschloss Ponitz
(Altenburger Land/Thüringen)

Das Renaissanceschloss Ponitz, am Dorfplatz gelegen, orientiert sich mit der Eingangsfassade zum Platz und mit den anderen Fassaden zum Park.

Das Renaissanceschloss wird vom Förderverein, welcher auch Betreiber ist, instandgehalten und es konnte erreicht werden, es vor dem Verfall zu retten. Regelmäßige Veranstaltungen, wie Konzerte und Ausstellungen, bieten ein abwechslungsreiches kulturelles Angebot.
Um allen Besuchern, auch behinderten Menschen, den Zugang zum Schloss zu ermöglichen, ist eine barrierefreie Erschließung zum rückwärtigen Zugang zu entwickeln. Der projektierte Aufzug im Gebäude kann von diesem Eingang schwellenlos erreicht werden, der Haupteingang ist nur über weitere interne Stufen erreichbar. Ziel soll es sein, einen gleichberechtigten weiteren Zugang zu entwickeln und diesen in die Gartenanlage funktional einzubinden.

Entwurf

Der rückwärtige Eingang liegt 1,86m über dem Straßenniveau. Um diese Höhe zu überbrücken, wird eine schiefe Ebene im Parkbereich vorgeschlagen, welche sich mittels Stufen und Sitzstufen zum Gelände abtreppt. Die schiefe Ebene distanziert sich zum Schloss und wird durch unterschiedlich hohe Niveaus angeschlossen. Diese Flächen können individuell gestaltet werden und unterstreichen den Charakter des Gebäudes. Die geschwungene Form ermöglicht es, den unregelmäßigen Grundriss des Schlosses aufzunehmen. Die schiefe Ebene mit den Treppenstufen umfasst das Gebäude und bildet einen Rahmen. (s. Abb. 9-10)

Funktional öffnet sich die Anlage zum Park und kann als zusätzliche Veranstaltungsfläche genutzt werden, z. B. als Treppentheater, für regionale Märkte, Feste und private Veranstaltungen. Das Schloss kann nun auch im Sommer einen eigenständigen Außenraum entwickeln und bietet die Möglichkeit, unabhängig von den Öffnungszeiten, individuell wahrgenommen zu werden. Eine kleine Brücke überspannt den „Wassergraben“ und endet im Raum des Aufzuges.

Diese barrierefreie Erschließung fügt sich in das gesamte Ensemble ein und wird als „Skulptur im Garten“ wahrgenommen. Eine gemeinsame Nutzung wird so unterstützt und fördert die Inklusion.

Bildquellen und Copyright-Hinweise
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