Design für Alle – sozio-ökonomische Notwendigkeit und Marktpotenzial für kleine und mittlere Unternehmen

Einführung

Tanja Leis, Beate Schlink

Design für Alle - sozio-ökonomische Notwendigkeit und Marktpotenzial für mittelständische Unternehmen
Dem Konzept „Design für Alle“ liegt die Idee zugrunde, dass die Gestaltung der Umwelt am Menschen orientiert werden muss. Es geht darum, Ausgrenzungen zu vermeiden und die Vielfalt der Menschen zu berücksichtigen (verwandte Themen und Begriffe: Universal Design, Accessibility, Usability, Chancengleichheit, Barrierefreiheit). Insofern richtet sich das Design für Alle grundsätzlich nicht nur an ältere Menschen oder an Menschen mit Behinderung, sondern auch an junge Familien, Kinder oder Menschen, die auch nur zeitweise einen erschwerten Zugang zu Räumen, Produkten oder Dienstleistungen haben können. Sie sollen schon in der Planungsphase von Angeboten einbezogen werden. Neben dem steigenden Bedarf an Produkten und Dienstleistungen, die für alle nutzbar und zugänglich sind, entstehen auch Anforderungen an Arbeitsplätze, die den sich verändernden Belegschaftsstrukturen der Betriebe Rechnung tragen, aber auch an bedarfsgerechtem Wohn- und Lebensraum.

Unterstützung von Vielfalt und Inklusion

Gerade die demografische Entwicklung und die damit einhergehende Alterung der Gesellschaft bieten Anlass, dass dem Konzept mehr Bedeutung beigemessen wird. Wobei neben dem sozialen Aspekt zunehmend auch eine ökonomische Orientierung erfolgt. So lassen sich im Bereich der Gesundheitswirtschaft erhebliche Kosten einsparen, weil Design für Alle unter anderem dafür sorgt, dass Menschen möglichst lange selbständig in ihrem Wohnumfeld verbleiben können. Ältere Menschen werden aber auch zu einer wichtigen Kunden- bzw. Zielgruppe für Unternehmen. Mit dem Wissen um die Bedürfnisse älterer Konsumenten, der Entwicklung und dem Angebot entsprechender Produkte und Dienstleistungen können sie erhebliche Wettbewerbsvorteile und Markterfolge erzielen.

Zurückgehende Geburtenraten sind u.a. ein Indiz dafür, dass unsere Umwelt alles andere als familienfreundlich ist. Es muss also auch darum gehen, die Lebensbedingungen für junge Familien entsprechend zu gestalten. Finanzielle Anreize spielen eine wichtige, aber nicht die wichtigste Rolle. Attraktive Arbeitgeber bieten flexible Arbeitszeitmodelle und unterstützen kinderfreundliche Infrastrukturen. Schließlich dürfen Kinder nicht nur als künftige Rentenzahler und Produktionsfaktor betrachtet werden, vielmehr als Erben einer Welt, die von uns, den Erwachsenen, gestaltet wird. Was läge also näher, als Kindern hier eine besondere Lobby zu geben?

Um dem Fachkräftemangel mittelfristig entgegenzuwirken, braucht das Land Migranten. Auch hier muss es darum gehen, sie in der Mitte unserer Gesellschaft willkommen zu heißen und ihr Leben durch gemeinsam gestaltete Angebote zu bereichern.

Um gesellschaftliche Teilhabe geht es schließlich auch in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die 2009 in Kraft trat. Die Bundesregierung hat einen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung ihrer Vorgaben erstellt, in dem das Konzept „Design für Alle“ verankert ist. Welche Marktpotenziale sich hier für Unternehmen erschließen, machen die folgenden Zitate deutlich:

Die Bundesregierung setzt sich deshalb für ein „Design für Alle“ ein, das die Bandbreite menschlicher Fähigkeiten, Fertigkeiten, Bedürfnisse und Vorlieben berücksichtigt; außerdem sollen Assistenzsysteme entwickelt werden, die Menschen mit körperlichen Handicaps unterstützen. Hierfür werden Forschungsmittel zur Verfügung gestellt.
(Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft, Berlin September 2011, S. 17 )

Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, dass seitens der Hersteller von Gebrauchsgegenständen des täglichen Bedarfs der Grundsatz des „Designs für Alle“ im Interesse älterer und behinderter Menschen stärkere Beachtung findet.
(² ebd., S. . 78)

Unser RKW-Projekt „Design für Alle – Marktchancen für kleine und mittlere Unternehmen“

(RKW-Projektwebsite mit Veranstaltungsprogrammen, Partnern, Vorträgen, Publikationen zum Download, auch als
Hörfassung im Daisy-Format www.rkw.de/dfa)

Auf der Grundlage des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie im Mai 2009 veröffentlichten Gutachtens „Impulse für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch Orientierung von Unternehmen und Wirtschaftspolitik am Konzept Design für Alle“ (Malte Klein-Luyten, IDZ Designpartner Berlin GmbH, et al. Impulse für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch Orientierung von Unternehmen und Wirtschaftspolitik am Konzept Design für Alle - Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, Berlin, Essen 2009) wurden in den vergangenen vier Jahren eine Reihe von Fachveranstaltungen für die Hauptzielgruppe „kleine und mittelständische Unternehmen“ konzipiert und durchgeführt, mehrere RKW-Fachpublikationen unter Mitwirkung von Experten erarbeitet. Die Ziele unseres Projektes sind die Sensibilisierung und Information von kleinen und mittleren Unternehmen, insbesondere anhand praxisnaher Beispiele, sowie die Initiierung von Netzwerken / Kooperationen auf regionaler und Bundes-Ebene.
Neben dem Austausch von Informationen und Erfahrungen wurden aus unseren Veranstaltungen Themen für Anschlussaktivitäten generiert sowie Weiterbildungs- bzw. Forschungsbedarfe erhoben. Wir haben mit unseren Veranstaltungen ca. siebenhundert Teilnehmer erreicht und erfahren, wie groß das Interesse der Beteiligten an Erfahrungsaustausch und der Bedarf an Vernetzung ist. Gleich mehrere Tagungen befassten sich mit dem Thema Urbane Verkehrs- und Freiraumgestaltung. Wir haben daher beschlossen, den Vorträgen und Praxisbeispielen durch die Veröffentlichung des vorliegenden Readers mehr Nachhaltigkeit zu verschaffen.

Lebensräume im Design für Alle

Was macht eine lebenswerte Stadt heute aus? Die Kriterien dürften genauso vielfältig sein, wie die Menschen, die hier leben. Bezahlbarer, attraktiver Wohnraum, ansprechende Architektur spielen eine Rolle. Eine gute Verkehrsinfrastruktur, Arbeitsplätze, Bildungs-, Pflege- und Betreuungseinrichtungen sind sehr wichtig, andererseits die Versorgung mit Ärzten und Krankenhäusern, aber auch gute Einkaufsmöglichkeiten sowie ein buntes Kultur-, Sport und Freizeitangebot. Tatsächlich scheint es wie in der Politik auch im Hinblick auf das urbane Leben ein steigendes Bedürfnis zu geben, sich als Bürger aktiv an der Gestaltung zu beteiligen. Menschen nehmen ihre Stadt im wahrsten Sinne des Wortes in Besitz und versuchen, sie nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Sicher ist dies nicht nur auf ein wachsendes und absolut begrüßenswertes Demokratieverständnis zurückzuführen. Es ist auch das Bewusstsein, dass wir die auf uns zu kommenden Aufgaben nur gemeinsam und nur dann wirklich lösen können, wenn es uns gelingt, vielen, ja möglichst allen, gerecht zu werden. Da ist zunächst die demografische Entwicklung mit vielen älteren Bürgern, damit einhergehend mehr Menschen mit Behinderungen, aber auch viele Migranten bzw. Menschen mit unterschiedlich kulturellem Hintergrund. Da sind der Klimawandel, die knapper werdenden natürlichen Ressourcen und die Notwendigkeit zum Ausbau alternativer Energiequellen und die Frage, wie bleibt die Welt auch für unsere Kinder und deren Nachfahren lebenswert?

Innovative Stadt-, Verkehrs- und Wohnkonzepte rücken neben der Energetik auch die Option eines generationengerechten bzw. teilhabeorientierten Lebens ins Blickfeld: Wohn- und Freiräume, angepasst an die sich im Laufe eines Lebens ändernden Bedürfnisse, flankiert von unterstützenden Dienstleistungen, die für Junge wie Alte, Menschen mit und ohne Behinderung oder unterschiedlicher Herkunft ein gutes Zusammenleben gewährleisten. Dabei darf auch die nachhaltige Gestaltung ländlicher Wohn- und Lebensräume nicht vernachlässigt werden. Kommunen, die im Design für Alle planen, haben die Zeichen der Zeit erkannt. Sie beteiligen die Bürger soweit möglich schon im Vorfeld an Planungsprozessen und erreichen so größtmögliche Nutzerfreundlichkeit und Akzeptanz.

Der mittelständischen Wirtschaft kommt bei der Realisierung dieser Konzepte eine wichtige Rolle zu. Entwickler und Anbieter von Produkten und Dienstleistungen, die dem Design für Alle entsprechen, sind ihren Mitbewerbern einen wesentlichen Schritt voraus. Denn ihre Angebote gehen über pure Barrierefreiheit hinaus, sie verbinden Sicherheit und Komfort mit ästhetischer Gestaltung.

Liebe Leserin, lieber Leser,

der vorliegende Reader will Sie in die Welt des Design für Alle in der Stadtentwicklung einführen.

Zu Wort kommen neben Vertretern der Kommunen, Repräsentanten der Wissenschaft und Forschung sowie der Unternehmenspraxis. Neben unterschiedlichen Modellen und Lösungsansätzen werden Möglichkeiten der Finanzierung beleuchtet. Anschauliche Praxisbeispiele zeigen Marktchancen auf.

Die Publikation ist so angelegt, dass jeder Beitrag in sich geschlossen ist. Sie können also an jeder beliebigen Stelle mit der Lektüre beginnen. Wir hoffen, dass sie Ihnen für Ihr Unternehmen bzw. Ihre beruflichen Aktivitäten nicht nur gute Denkanstöße liefert, sondern auch Instrumente an die Hand gibt, das Konzept Design für Alle praktisch umzusetzen.

Die Arbeit im Projekt „Design für Alle“ hat uns viel Freude bereitet. Wir sind überzeugt, dass der Diskurs über die nachhaltige Gestaltung unserer Lebenswelt und sich daraus ergebende Chancen für Wirtschaft und Gesellschaft weitergehen wird, und wünschen uns, dass die vorliegende Veröffentlichung auch über das Ende der Projektlaufzeit hinaus einen Beitrag hierzu leistet.

Beate Schlink und Tanja Leis Eschborn, September 2012