Aufwertung städtischer Freiräume am Beispiel Hanau-Freigericht

Andreas Paul

Aktuelle Entwicklungen

Große Städte und Metropolregionen erleben seit geraumer Zeit, dass es viele Menschen wieder in die Stadt zurückzieht. Gründe sind vor allem die besseren beruflichen Möglichkeiten für junge Menschen, und hier speziell für Singles. Aus der Sicht älterer Mitbürger bietet die Stadt eine bessere Infrastruktur als ländliche Gegenden, nicht nur unter dem Aspekt der medizinischen Versorgung.

Der Zuzug von Menschen bedeutet eine Nachfrage an Wohnraum und diese kann überwiegend nur durch Neubauten oder Umnutzung beispielsweise von Konversionsflächen zu Wohnungsbauflächen befriedigt werden. Bedenkt man, dass 1991 die Wohnfläche je Haushaltsmitglied 46 m² (Westdeutschland), 32 m² (Ostdeutschland) und 2006, 15 Jahre später, 54 m² (Westdeutschland), 45 m² (Ostdeutschland) betrug, so wird dadurch deutlich, dass die Städte weiter wachsen oder verdichtet und damit versiegelt werden (BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG 2008). Je nach Stadt wird die Freiraumversorgung nicht im gleichen Maße wie die Wohnbebauung bzw. die Gewerbebebauung weiterentwickelt, so dass es Städte mit großem Freiraumdefizit gibt. Dazu gehört unter anderem die Stadt Mainz. Ein Quartier soll hier stellvertretend erwähnt werden: Die Neustadt der Stadt Mainz hat das größte Defizit an öffentlichen Freiflächen im Stadtgebiet. Im Villengebiet in der Oberstadt gibt es 35 m² öffentliches Grün pro Einwohner; in der hier erwähnten Neustadt dagegen nur 2,5 m² öffentliches Grün pro Einwohner. Nun steht die Umnutzung des Zoll- und Binnenhafens an, der Teil der Neustadt ist (STADT MAINZ 1999). Man verschwendet hier keinen Gedanken, die Freiraumsituation dieses Gründerzeitquartiers zu verbessern (PAUL 1997), sondern plant eine Komplettbebauung des Hafen areals aus rein ökonomischen Interessen und dies in einer Zeit, in der die Städte sich durch die Klimaveränderung immer mehr erwärmen. Gegenüber der stadtumgebenden Landschaft sind die Innenstädte um 6 bis 7 Grad Celsius wärmer geworden (PAULEIT 2010). Tokio als extremes Beispiel mit über 30 Millionen Einwohnern ist mittlerweile 12 Grad Celsius wärmer (SCHÖNWIESE 2003). Das sind Warnsignale, die ernst genommen werden sollten.

Des Weiteren benötigt die moderne Stadtgesellschaft, die im Berufsalltag weniger körperlich aktiv ist, Freiräume für den körperlichen Ausgleich, natürlich auch alle anderen Bevölkerungsgruppen (PAUL 2012). Genügend Bewegungsraum für die Gesundheitsvorsorge zu finden, ist schon längst ein wichtiges Thema in einer „Wohlstandsgesellschaft“, in der fast 50 Prozent der Menschen übergewichtig sind (BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ 2008). Zugleich sind Freiräume wichtige soziale Begegnungsräume. Diese sind schon wegen des demografischen Wandels heute bedeutsam und in der Zukunft noch wichtiger. Die Städte müssen eine auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit angelegte Frei- und Grünflächenplanung für alle Bürgerinnen und Bürger auf den Weg bringen. Dies schafft man nur, wenn man vernetzte Gesamtkonzepte entwickelt und die anstehenden übergeordneten Themen und Zukunftsfragen der Stadt erkennt.

Die Stadt Hanau setzt auf Grünflächen
Ganz andere Erfahrungen konnten die Studierenden der Hochschule RheinMain im Studiengang Landschaftsarchitektur in Hanau machen. Hanau Grünflächen-Eigenbetrieb der Stadt Hanau trat an die Hochschule mit der Frage heran, ob sich die Landschaftsarchitektur im Rahmen eines Vertiefungsprojektes Gedanken zu den Freiflächen des Stadtteils Freigericht machen will. Hanau baute gerade den Bürgerpark Hochgericht im Norden der Stadt und wollte weitere Stadtteile in ihrer Freiraumsituation verbessern. Das Quartier Freigericht ist ein typischer Stadtteil aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts mit den nachfolgenden Entwicklungen der Nachkriegszeit. Neben der Blockbebauung der 20er Jahre, die teilweise unter Denkmalschutz steht (LANDESAMT FÜR DENKMALPFLEGE HESSEN 2006), gibt es Zeilenbauten der 50er und 60er Jahre (Abb. 1). Teile des Gebietes sind mit Einbis Drei-Familien-Häusern bebaut, wo die besser verdienenden Mitarbeiter des direkt angrenzenden Reifenwerks Dunlop wohnten oder wohnen. Eine Hochhausbebauung stadteinwärts aus den 70er Jahren steht städtebaulich im Widerspruch zur sonstigen Entwicklung des Gebietes. Heute handelt es sich bei dieser Bebauung um einen sozialen Brennpunkt, der mit in die Entwicklungsplanung einbezogen worden ist (Abb. 2 + 3).

Die Rahmenplanung und der Bürgerpark

Der Studiengang Landschaftsarchitektur entwickelte mit der Stadt Hanau einen Studentenwettbewerb für den Bürgerpark. Ein Ziel des Projektes war die Untersuchung der Gesamtsituation in Bezug auf die Nutzungsmöglichkeiten und die Erreichbarkeit der öffentlichen und privaten Freiräume. Es ging darum, Defizite und Potenziale zu erfassen. Aus der Analyse sollten dann Vorschläge zur Verbesserung der Qualität abgeleitet und bei einer konkreten Anlage detaillierte Planungsvorschläge entwickelt werden (Abb. 4). Im Rahmen eines Workshops wurden auf der städtebaulichen Ebene die wichtigsten Ziele formuliert. Dazu gehörten unter anderem die öffentlichen und privaten Freiräume am Hochhaus für Klein-, Schulkinder und Jugendliche derart zu verbessern, dass auf den vorhandenen, aber nicht entsprechend gestalteten Flächen, die jeweiligen Nutzungsbedürfnisse befriedigt werden können (STADTPLANUNGSAMT HANAU 2001). Es fehlt hier nicht an Platz, sondern am Umsetzungswillen der privaten Betreiber der Wohnanlage. Der einzige und nur zeitlich begrenzt nutzbare Bolzplatz auf einem Schulgelände soll öffentlich zugänglicher gemacht werden, indem verantwortliche Jugendliche mit in das Konzept eingebunden werden. Da der Bolzplatz wegen der besonderen Lage auf dem Schulhof nur temporär genutzt werden kann, ist in der Rahmenplanung ein neuer Standort vorgeschlagen worden, der weit genug von der nächsten Wohnbebauung liegt, um einer baurechtlichen Überprüfung standzuhalten (Abb. 5 - 6). Der im Süden des Quartiers Freigericht liegende Hauptfriedhof wirkt wie ein Querriegel. Da der Friedhof nur zeitlich begrenzt geöffnet ist (je nach Jahreszeit ab 17 Uhr verschlossen), fehlt eine wichtige Hauptwegebeziehung zum Hauptbahnhof (Abb. 10). Die Bewohner müssen große Umwege zwischen Hauptbahnhof und Wohnquartier in Kauf nehmen. In der Rahmenplanung 64 Raum für Alle – Marktchancen für kleine und mittlere Unternehmen wurden Umgestaltungsvorschläge für einen speziellen Querungsbereich innerhalb des Friedhofs gemacht. Eine weitere große Barriere stellen der nördlich liegende Bahndamm und eine vierspurige Hauptstraße dar. Eine nachhaltige Stadtentwicklung bedeutet auch, dass für Fußgänger und Radfahrer aller Altersgruppen ein Wohnquartier oder ein Stadtteil so gestaltet wird, dass man sich sicher und ohne Barrieren bewegen kann – ansonsten wird immer wieder auf die vermeintlich „einzige Alternative“ des Autos gesetzt, was städtebaulich nicht mehr zukunftsfähig ist. Es geht auch darum, das Fahrrad bei der zukünftigen Stadtentwicklung verstärkt einzuplanen (SCHOLZ 2011; SPEER 2009).

Für die Grünanlage im Norden des Gebietes wurden konkrete Ideen entwickelt (Abb. 7 - 9). Die sich heute in einem erbärmlichen Zustand befindende Fläche, die auch nur von bis zu 14-Jährigen als Spielraum genutzt werden darf, ist in den Planungen völlig neu aufgeteilt worden. Dabei sollen alle verschiedenen Altersgruppen der umgebenden Wohnbebauung und des Quartiers Raum für ihre Ansprüche finden. Es geht darum, einen Park für alle Bürger anzubieten. Durch die Anlage führt eine wichtige Fuß- und Radwegeverbindung und ist damit in ein Grünsystem eingebunden.

Die Ergebnisse der Planung
Das Ergebnis der Planung, wie oben schon beschrieben, sind auf Quartiersebene Vorschläge zur besseren Wegebeziehung (Abb. 10). Es geht um die Aufwertung und / oder grundsätzliche Verbesserung bestehender privater / öffentlicher Grünflächen. Ein weiterer Punkt ist die Sicherstellung der Zugänglichkeit. In dem Quartier gibt es zwei sehr große begrünte Innenhöfe, die von außen nicht zugänglich sind. Diese Flächen wären für Klein- und Schulkinder ideal als sicherer Spielort. Seitens der Planung wird empfohlen, diese zu bestimmten Zeiten am Tag zu öffnen (Abb. 11). Hier ist eine konstruktive Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure erforderlich. Bestehende Wegeanbindungen zur freien Landschaft sollten in ihrer Qualität verbessert werden. Dazu gehört eine ausreichende Beleuchtung und die Aufwertung einer bestehenden Bahnunterführung, wozu unter anderem eine ansprechende farbliche Gestaltung oder eine Sprayer-Aktion von Jugendlichen gehört, um zu mehr Identifikation beizutragen, da diese Unterführung nach der Planung zum zukünftigen Bolzplatz führt.

Für die bestehende und vollständig sanierungsbedürftige Grünanlage wurden unterschiedliche Planungsvorschläge entwickelt. Aufgrund verschiedener Altersgruppen bei den zukünftigen Nutzern ging es bei den Planungen um eine sinnvolle räumliche Aufteilung. Die Spielbereiche wurden so angeordnet, dass Kinder ungefährdet von dem durch das Gebiet verlaufenden Radweg spielen können. Verschiedene Spielbereiche für unterschiedliche Altersgruppen wurden vorgesehen. Die Bedürfnisse der Jugendlichen wurden unterschiedlich bei den Konzepten behandelt. Manche Planungen integrierten sie mit einer kleinen Streetballfläche in der Grünanlage, verbunden mit dem Risiko, dass Konflikte mit den direkten Anwohnern entstehen. Andere Planungen hatten den anschließenden Grünzug hinter dem Bahndamm mit einem attraktiven Ballspielfeld und anderen Angeboten ausgestattet, damit die Jugendlichen hier ohne Konflikte mit den Anwohnern ihren bewegungsintensiven Aktivitäten ungestört nachgehen können (Abb. 12 - 15).

Für Erwachsene wurden unterschiedliche Sitzbereiche vorgesehen, so dass man sich je nach Bedürfnissen in eher ruhigen Abschnitten aufhalten kann oder an Treffpunkten, wo man an den jeweiligen Aktivitäten teilhaben kann. Sichere Wege werden angeboten, um sich bewegen oder laufen zu können. Ein ganz wichtiger Punkt war der weitgehende Erhalt des alten Baumbestandes, der auch eine besondere Qualität dieser Anlage ausmacht. Zu der die Grünanlage tangierenden 4-spurigen Ausfallstraße sahen alle Planungen aufgrund der Untersuchungen im Rahmenkonzept für das Quartier eine Lärmschutzwand vor, die zugleich auch die bestehende Wohnbebauung vor den Emissionen schützt.

Im Rahmen einer öffentlichen Präsentation wurden die Planungen im Stadtteilzentrum vorgestellt. Vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund interessierten sich für die Pläne (Abb. 12).
In Hanau ist ein Prozess zusammen mit der Hochschule RheinMain angestoßen worden, der zu mehr nachhaltiger Lebensqualität in dem Quartier führen kann. Dabei geht es um soziale Aspekte, die gestalterische Verbesserung des Außenraums, die Vernetzung funktionaler Zusammenhänge und letztendlich um die Verbesserung der ökologischen und klimatischen Situation der Stadt. Es wird jetzt darauf ankommen, dass bei weiteren Beteiligungsprozessen zwischen den Bürgern und der Stadt Hanau die Verbesserungsvorschläge diskutiert und abgestimmt werden, damit eine Mehrheit der Bewohner die Veränderungen trägt.

Literaturnachweis

BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ (2008): Menschen bewegen – Grünflächen entwickeln. Ein Handlungskonzept für das Management von Bewegungsräumen in der Stadt. Bonn - Bad Godesberg

BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG (2008): Datenreport 2008. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. Bonn. S. 229

LANDESAMT FÜR DENKMALPFLEGE HESSEN (Hrsg.) (2006): Stadt Hanau. Denkmaltopographie der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden. S. 100 - 104

PAUL, A. (1997): Freiräume der Mainzer Neustadt. Entwicklungschancen für das innere und äußere Grünsystem. In: BRÜCHERT, H. (Hrsg.): Die Neustadt gestern und heute. 125 Jahre Mainzer Stadterweiterung. Mainz. S. 139 - 151

PAUL, A.; Mitarbeit KAHL, C. (2012): Freiräume für Kinder und Jugendliche. Rechtliche Grundlagen für private und öffentliche Flächen. Stadt + Grün 61. Nr. 8, S. 50 - 57

PAULEIT, S. (2010): Kompakt und grün: die ideale Stadt im Klimawandel. Garten + Landschaft, 120. Jg. Nr. 4, S. 12 – 15

SCHÖNWIESE, C.-D. (2003): Klimatologie. Stuttgart. S. 330

SCHOLZ, R. (2011): Radverkehr in Ballungsräumen – Chancen für mehr Mobilität. Garten + Landschaft 121. Nr. 4, S. 17 – 19

SPEER, A. & PARTNER GMBH (2009): Frankfurt für alle. Handlungsperspektive für die internationale Bürgerschaft Frankfurt am Main. Frankfurt. S. 187 - 192

STADT MAINZ (1999): Flächennutzungsplan Mainz. S. 64

STADTPLANUNGSAMT HANAU (2001): Städtebaulicher Rahmenplan Hanau Freigericht. S. 60 – 68, 88 – 89, 97 - 99

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