Verdichtung und Entgrenzung
Die Erfahrungen mit Homeoffice und mobiler Arbeit aus der Corona-Pandemie zeigen, dass der zeitlichen Entlastung der Arbeitenden durch den Wegfall von Pendelzeiten und weniger Dienstreisen Mehrbelastungen gegenüberstehen.
Viele Personalverantwortliche registrieren eine Verdichtung der Arbeit für die Beschäftigten. In einer Befragung des FraunhoferInstituts sind dies immerhin knapp 60 Prozent (Hofmann et al. 2022). Die erweiterten Handlungsspielräume durch das Mehr an Selbstorganisation können aufgezehrt werden, wenn die Arbeitsmenge erhöht wird und nicht planbare Anforderungen schnelle Reaktionen erfordern. Man gerät dann leicht in eine Art Räderwerk, das nur noch schwer zu beherrschen ist. Die hohe Flexibilität bei mobiler Arbeit, die Ausweitung der zeitlichen und räumlichen Erreichbarkeit der Mitarbeitenden durch Vorgesetzte, Kolleginnen und Kollegen, kann hierfür ein Einfallstor bilden.
Es gibt also Handlungsbedarf im Hinblick auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz, um in Bezug auf die Arbeits(zeit)organisation das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten bei mobiler und hybrider Arbeit sicherzustellen.
Wer konzentriert arbeiten will, braucht nicht nur einen guten Bildschirm und körpergerecht gestalteten Arbeitsplatz, sondern auch regelmäßige Pausen. Das Arbeitszeitgesetz liefert hierfür Regelungen hinsichtlich langer und kurzer Pausen. Insbesondere kurze Pausen haben, dies zeigt die Arbeitsmedizin, einen starken Erholungseffekt und dienen erwiesenermaßen der Arbeitsproduktivität. Jede Stunde sollte eine Pause von etwa fünf Minuten eingelegt werden. Gerade wenn am heimischen Arbeitsplatz keine Kollegin, kein Kollege oder auch keine Führungskraft hinschaut, fallen regelmäßige Pausen schon einmal weg. Gemeinsame Mittagspausen, die der Regeneration ebenso wie dem sozialen Miteinander in der Kollegenschaft dienen, finden im Homeoffice nicht statt. Bei einer Befragung von Personalverantwortlichen geben rund 80 Prozent an, dass Pausen „weniger stringent“ eingehalten werden (Hofmann et al. 2022).
Eine Kehrseite der verbesserten Balance zwischen Arbeit und Privatleben bildet die Entgrenzung der Arbeit, also das Raumgreifen von Arbeit im privaten Lebensbereich. Dies zeigt sich deutlich bei Ergebnissen einer Beschäftigtenbefragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI). Einerseits verbuchen mehr als drei Viertel der Befragten eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie als Vorteil von Homeoffice. Andererseits sieht eine Mehrheit von 60 Prozent auch den Nachteil, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen können (Hans Böckler Stiftung 2023).
Entgrenztes Arbeiten kann mehrere Ausprägungen haben: Mehrarbeit und überlange Arbeitszeiten, Arbeiten am Wochenende sowie auch zu ungünstigen Tageszeiten wie früh morgens und spät abends. Ursachen für ein solches Arbeiten können schwer erfüllbare betriebliche Leistungsanforderungen sein, ein hoher Anspruch von Mitarbeitenden an sich selbst oder auch ungünstige häusliche und private Bedingungen. Gerade bei Doppelbelastung, wenn Kinder betreut oder ältere Angehörige gepflegt werden müssen, werden die Grenzen des Arbeitstages oftmals nach hinten geschoben, um zwischendurch liegen gebliebene Arbeit zu erledigen.
Aus der Perspektive von Personalverantwortlichen bildet Entgrenzung weniger ein akutes und in der Breite zu verzeichnendes Problemfeld, sondern eher eine Gefährdung, der man Aufmerksamkeit schenken muss, bevor sie weiter um sich greift. In der Befragung des Fraunhofer Instituts sehen 70 Prozent der befragten Personalerinnen und Personaler bereits negative Wirkungen von Entgrenzung bei den Beschäftigten. Ein knappes Viertel registriert eine Verschlechterung auf dem Gebiet der Work-Life-Balance. Burnout-Risiken bei ihren Mitarbeitenden erkennen knapp 20 Prozent der Personalverantwortlichen.
Für Aufmerksamkeit und gezieltes, bedarfsgerechtes Gegensteuern sprechen auch die Ergebnisse der Beschäftigtenbefragungen des WSI. Sie zeigen, dass die Erfahrungen mit mobiler Arbeit auch hinsichtlich der Arbeitsbedingungen mehrheitlich positiv ausfallen. Über 60 Prozent verneinen die Frage, ob Arbeit zu Hause anstrengender ist als Arbeit im Betrieb (Hans Böckler Stiftung 2023).
Gleichwohl sollten die Gefahrenhinweise aus den Reihen der Personalverantwortlichen wie die kritischen Stimmen aus Beschäftigtenbefragungen zu Entgrenzung und zu den Anstrengungen mobilen Arbeitens Aufmerksamkeit wecken. Mobile Arbeit und Homeoffice führen nicht im Selbstlauf zu guten Arbeitsbedingungen, sondern sie müssen gut gestaltet werden. Eine ungesunde Arbeitszeitgestaltung birgt auf längere Sicht große Risiken für die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden. Längere Fehlzeiten und auch eine Verschlechterung der Arbeitsqualität können die Folgen sein.
Hinweis
Die Kriterien einer menschengerechten Gestaltung der Arbeit bilden eine Richtschnur für das Arbeiten mit Informations- und Kommunikationstechnik. Sie sind in der DIN ISO 9.421 Normenreihe niedergelegt.
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