Was unterscheidet Startups von etablierten Mittelständlern oder auch von Konzernen oder „Corporates“? Für statistische Zwecke kann man Firmen als Startups klassifizieren, wenn sie jünger als zum Beispiel fünf Jahre sind und entweder hoch innovativ oder stark wachstumsorientiert sind – oder beides. Allerdings beschreiben sich auch viele etablierte Unternehmen als hoch innovativ oder wachstumsorientiert. Was machen Startups also anders? Dazu muss man sich die Art der Innovation anschauen, die sie betreiben.

Prozess- vs. Geschäftsmodellinnovationen

Etablierte Unternehmen kennen ihren Daseinszweck und verwirklichen ihn. Anders ausgedrückt: Sie haben ein Geschäftsmodell und setzen dieses sehr effizient um. Sie sind innovativ und verbessern kontinuierlich die Prozesse, mit denen sie ihr Geschäftsmodell umsetzen. Gerade im Mittelstand kann man das beobachten: Prozesse sind schlank und es wird modernste Technik in der Produktion eingesetzt. Alle Mitarbeiter sind auf die Kernprozesse des Unternehmens konzentriert. Aber es gibt keine Ressourcen für Stabsabteilungen,  und mit Themen, die nicht unmittelbar zum Tagesgeschäft gehören, wie beispielsweise Energie- oder Ressourceneffizienz, befassen sich diese Unternehmen nur, wenn der Chef das anstößt.

Startups sind ganz anders: Prozesse sind oft gar nicht definiert, denn in kleinen Teams kann man das meiste durch informelle Zusammenarbeit bewältigen. Auch zum Daseinszweck ihrer Unternehmung haben Gründer zu Beginn oft nur recht diffuse Vorstellungen – viele haben zwar eine Idee für ein Produkt oder eine Dienstleistung, aber keine Vorstellung davon, wie man damit Geld verdienen könnte. Mit anderen Worten: Ein funktionierendes Geschäftsmodell gibt es oft nicht. Aber natürlich muss jedes Unternehmen früher oder später Geld verdienen, und so geht es bei einem Startup darum, so schnell wie möglich ein funktionierendes Geschäftsmodell zu entwickeln. Man kann also den Unterschied zwischen etablierten Unternehmen und Startups auch so vereinfacht zusammenfassen: Etablierte Unternehmen konzentrieren sich auf Prozessinnovationen, Startups treiben Geschäftsmodellinnovationen voran. Allerdings tun auch etablierte Unternehmen gut daran, ihre Geschäftsmodelle regelmäßig in Frage zu stellen – schließlich werden laufend neue Technologien entwickelt, die Teile alter Geschäftsmodelle grundlegend verändern. Im Internet lassen sich nicht nur viele Produkte wie Zeitungen oder Musik in digitaler Form vertreiben, auch der Vertrieb analoger Produkte kann neue Formen annehmen. Und Startups müssen irgendwann ihre Prozesse optimieren, wenn sie weiter wachsen wollen. Firmen, die beides beherrschen, Geschäftsmodell- und Prozessinnovation, sind die wahren Innovationskünstler – ob sie nun Startups sind oder etablierte Unternehmen.

Tools und Methoden für Geschäftsmodelle

In den letzten Jahren sind Methoden und Tools populär geworden, die versuchen, Geschäftsmodellinnovationen systematisch zu identifizieren und zu entwickeln. Die zwei bekanntesten Herangehensweisen sind der St. Gallener Business Modell Navigator und das Business Model Canvas von Alexander Osterwalder und Yves Pigneur. Gemeinsam ist beiden, dass sie versuchen, Geschäftsmodelle auf wenige Elemente zu reduzieren und die Beziehungen zwischen ihnen abzubilden. Wir wollen uns dem zweiten Tool widmen.
Im Business Model Canvas werden Geschäftsmodelle durch neun Elemente beschrieben: Im Zentrum steht das Wertangebot (1), das über Kanäle (2) an Kundensegmente (3) vertrieben wird, zu denen das Unternehmen eine Kundenbeziehung (4) hat. Dazu gehören noch Einnahmequellen, denn natürlich sollten die Kunden bereit sein, für das Wertangebot Geld auszugeben (5). Auf der anderen Seite wird das Wertangebot im Rahmen von Schlüsselaktivitäten (6) erzeugt, für die Schlüsselressourcen (7) und Schlüsselpartner (8) nötig sind. Diese Elemente sind wiederum mit einer Kostenstruktur (9) verbunden.

Geschäftsmodell eines integrierten Energieversorgungsunternehmens

Eine Branche, die zurzeit sowohl durch die Digitalisierung als auch durch die zunehmende Verbreitung erneuerbarer Energieerzeugung unter starkem Innovationsdruck steht, ist die Energiewirtschaft. Füllt man das Canvas zum Beispiel für ein klassisch integriertes Energieversorgungsunternehmen (EVU) aus, wird das Geschäftsmodell deutlich (siehe Abbildung): Ein integriertes EVU erzeugt und vertreibt Strom selbst und ist meist als Grundversorger für ein bestimmtes Netzgebiet zuständig. Damit sind schon die Schlüsselaktivitäten beschrieben (Stromerzeugung und Vertrieb) und auch die Kundenbeziehung: Wenn ein Stromkunde nicht aktiv wird, landet er automatisch im  Grundversorgungstarif des Grundversorgers. Die Beziehung ist also komplett automatisiert. Daraus ergibt sich natürlich wiederum das Nutzenversprechen eines EVU: Das Angebot richtet sich an Kunden, die einfach nur eine sichere Stromversorgung wollen und sich ansonsten keine Gedanken machen möchten. Diese Aufstellung ist bewusst etwas holzschnittartig. Den Kunden tatsächlich eine sichere Stromversorgung zu bieten, ist ein komplizierter Prozess, der oft auch über Schlüsselpartner realisiert wird, die zum Beispiel Kapazitätsreserven anbieten. Und alle großen EVU erreichen ihre Kunden heutzutage auch über klassisches Marketing – man denke nur an die Werbespots mit dem freundlichen Riesen RWE.

Geschäftsmodell-Entwicklung

Aber in dieser Vereinfachung liegt gerade eine der Stärken des Canvas: Durch die Reduktion auf neun Elemente wird es möglich, Muster in Geschäftsmodellen zu erkennen und bewusst zu verändern. Startups stellen typischerweise – neben dem Wertangebot – die Kunden in den Mittelpunkt. Durch die Konzentration auf spezifische Kundengruppen wird es unter anderem möglich, ein Unternehmen sehr schlank aufzustellen und so ein Geschäftsmodell schnell auf den Markt zu bringen und mit realen Kunden zu testen. Funktioniert es nicht wie geplant, kann man das Geschäftsmodell gezielt verändern, also beispielsweise das Kundensegment und/oder das Wertangebot anpassen. Das Business Modell Canvas ist also nicht als eine in Stein gemeißelte Handlungsanweisung zu verstehen, sondern als ein Werkzeug, mit dem die eigenen Aktivitäten immer wieder systematisch überdacht werden können.

Geschäftsmodell eines alternativen Versorgers 

Durch die Liberalisierung des Strommarktes wurde neuen EVU der Zugang zum Markt ermöglicht. Ein Startup könnte jetzt basierend auf der EVU-Analyse beispielsweise das Canvas dazu nutzen, das Geschäftsmodell so zu vereinfachen, dass ein kleines Team ein EVU aufbauen kann (siehe Abbildung unten): Stromversorger müssen heutzutage keine eigenen Kraftwerke mehr betreiben – sie können sich auch als reine Vertriebsorganisation aufstellen, die mit einem anderen Nutzenversprechen gezielt eine ganz bestimmte Kundengruppe anspricht, und zum Beispiel Kunden bedient, die Ökostrom beziehen wollen. Das ist beispielsweise die Strategie des Startups Polarstern, das Strom aus Münchener Wasserkraft vermarktet. Und natürlich gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Firmen, die ähnlich vorgehen, und als Ökostromanbieter mit verschieden harten Ökokriterien oder auch als Discounter unterschiedliche Kundengruppen ansprechen. Natürlich haben auch klassische Anbieter längst nachgezogen und ihre Geschäftsmodelle erweitert oder umgestellt. Generell kann für alle Unternehmen, deren Branche starke Umbrüche erfährt, die Systematisierung ihrer Aktivitäten mit Hilfe des Business Model Canvas eine nützliche Übung sein, um sich für Veränderung in dynamischen Märkten vorzubereiten.

Dieser Beitrag ist in gekürzter Form dem aktuellen RKW Magazin 1/2017 entnommen. Gern können Sie weitere Beiträge in der PDF lesen, oder bestellen Sie sich gleich eine Printausgabe:

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