Cradle to Cradle®, die nächste industrielle Revolution?

Klappern gehört bekanntlich zum Geschäft und wer mit einem neuen Konzept um Aufmerksamkeit kämpft, der ruft, so scheint es mir, eine neue industrielle Revolution aus. Derzeit versprechen in Veranstaltungen und Publikationen verschiedene Themen, eine neue industrielle Revolution auszulösen. Neben dem Internet der Dinge, der Industrie 4.0 und dem 3D-Druck nimmt diese Rolle auch der deutsche Chemiker Michael Braungart für sein Cradle to Cradle® Konzept in Anspruch. Dabei geht es um nicht weniger als die Lösung einiger der drängendsten globalen Probleme.

Von der Natur abgeschaut: Kreislaufführung

Braungart bezweifelt, dass bisher verfolgte Maßnahmen in der Lage sein werden, die Endlichkeit der Rohstoffe, den Klimawandel und die explodierende Weltbevölkerung zu bewältigen. Seine Lösung: Produkte sollten so gestaltet werden, dass sie nach ihrer Nutzung vollkommen kreislauffähig sind. Das heißt, sie müssen entweder problemlos biologisch abbaubar oder vollständig technisch wiederverwertbar sein. Damit ist allerdings kein Downcycling, also eine Nutzung in immer geringerer, sondern ein Re- oder Upcycling in gleichwertiger oder sogar höherwertiger Qualität gemeint. Ein Schuh kann wieder zu einem Schuh werden oder auf dem Kompost verrotten. Rohstoffe gehen nicht mehr verloren, Abfall wird zur Nahrung bzw. zu neuem Rohstoff. .

Das Versprechen: Verschwendung statt Verzicht

Braungart verspricht also nicht weniger als Konsum ohne Reue, Umweltschutz ohne Verzicht. Er propagiert einen Perspektivenwechsel in der Produktentwicklung und im Umweltschutz. Weg von der Öko-Effizienz, dem Bestreben nach weniger Verbrauch und Belastung hin zur Öko-Effektivität, einer umweltgerechten Produktionsweise. In Braungarts Worten:

"Der Mensch sollte nicht weniger schlecht sein, sondern gut. Weniger schlecht reicht jetzt einfach nicht mehr."

Das erfordert, alle Produkte noch einmal neu zu überdenken und setzt auf eine Produktgestaltung, die auf Qualität, Schönheit und Innovation abzielt. Sein Anspruch geht damit weit über eine bessere Kreislaufführung hinaus:

Ein schönes Beispiel ist der Teppichboden der niederländischen Firma Desso. Er ist nicht nur im firmeneigenen Recyclingsystem wiederverwertbar, sondern besitzt darüber hinaus eine besondere Eigenschaft. Statt wie herkömmliche Teppichböden Schadstoffe zu emittieren, reinigt er die Luft von Feinstaubpartikeln.

Verbreitung und Grenzen des Konzeptes

Bis dato hat Cradle to Cradle® keine industrielle Revolution ausgelöst. Tatsächlich konnte das Konzept insbesondere in Deutschland nur eine bescheidene Verbreitung finden. Firmen wie Puma, Trigema oder zuletzt Werner & Mertz (mit der Marke Frosch) sind hier als Vorreiter zu nennen. In den USA, Dänemark, Belgien oder Holland erregt es dagegen bereits eine weit größere Aufmerksamkeit. Mit dem wachsenden Bekanntheitsgrad melden sich auch zahlreiche Kritiker zu Wort. Eingewendet wird insbesondere, dass das Konzept die in den Produktions- und Transportprozessen sowie der Nutzungsphase eingesetzten Ressourcen zu wenig berücksichtige. Zudem scheitere die Verbreitung der Produkte oft an zu hohen Kosten oder der technischen Umsetzbarkeit. Weiterhin wird bezweifelt, ob sich das Konzept auch auf komplexere Produkte übertragen ließe.

Fazit

Braungarts Revolution ist bisher mehr Wunsch als Wirklichkeit. Dennoch halte ich den von Braungart vollzogenen Perspektivenwechsel für vielversprechend. Denn recyclinggerechte Produktgestaltung ist ein wichtiges Thema in Hinblick auf Umwelt-, Klima- und Ressourcenschutz. Zudem benötigt Innovation neue Blickwinkel und Anstöße, die helfen, Kreativität freizusetzen. Unter den Cradle to Cradle® -zertifizierten Produkten finden sich denn auch einige überraschende Ideen, die sich tatsächlich durch Qualität, Schönheit und Innovationskraft auszeichnen und bestehende Branchenstandards sprengen.